Der ferne Spiegel
Wiedergutmachung von 164 Rechtsverletzungen, ehe sie neuen Subventionen für die Krone zustimmen wollten. Ihre wichtigste Forderung war die Entlassung korrupter Minister und die Verbannung der Mätresse des Königs, die als korrupt und zugleich als Hexe galt. Zusätzlich wurde eine jährliche Parlamentssitzung verlangt, die Abgeordneten sollten in Zukunft gewählt und nicht mehr ernannt werden, und eine lange Liste von Maßnahmen gegen willkürliche Praktiken und schlechte Regierung sollte verwirklicht werden. Zwei der gewichtigsten Beschwerden waren nicht direkt gegen die Regierung, sondern gegen die Mißbräuche einer ausländischen Kirchenhierarchie und gegen eine aufsässige, ungehorsame Arbeiterschaft gerichtet. Diese beiden Streitpunkte hatten große Bedeutung: Der eine führte zum schließlichen Bruch mit Rom, der andere sehr viel früher zum Bauernaufstand. [Ref 227]
Das tüchtige und triumphierende England, das Coucy nach Poitiers kennengelernt hatte, war in tiefem Mißmut versunken. Der Stolz auf die Eroberungen und der Reichtum der Lösegelder hatten sich aufgelöst wie Rauch; Energie und Selbstvertrauen waren in Streitereien und Ausschweifungen versickert, das erweiterte Reich war wieder zusammengeschrumpft, englische Flotten waren schändlich vom Kanal verjagt worden, die kriegerischen Schotten an den Grenzen – Eduard hatte mit ihnen noch länger als mit den Franzosen kämpfen müssen – waren so ungezähmt wie je. Die Helden Englands – Heinrich von Lancaster, Chandos, der Schwarze Prinz – waren tot oder lagen im Sterben; an die Stelle der guten Königin war eine Metze getreten, von der man glaubte, sie habe den König dadurch bezaubert, daß sie ihm mit Hilfe eines Priesters, der in der Schwarzen Magie bewandert war, seine Potenz zurückgegeben hatte. Der einst strahlende Eduard, der von der Windmühle aus auf den Sieg von Crécy hinuntergeblickt hatte, war nun ein närrisch verliebter alter Mann, »der nicht mehr Verstand hatte als ein achtjähriger Junge«. Die hohe Zeit der Erfolge lag hinter den Engländern, und jede neue Niederlage mußte mit Handelskrisen und neuer Besteuerung bezahlt werden. Eine fünfzigjährige Herrscherzeit ununterbrochener Kriege näherte sich ihrem Ende,
und im Volk wuchs das Gefühl, daß es eine Zeit der verschwendeten Kraft und der Mißwirtschaft gewesen war.
England war nun auch von der Gesetzlosigkeit angesteckt, die der Krieg auf dem Kontinent heraufbeschworen hatte. Soldaten, die ohne die Früchte, aber mit der Gewohnheit von Raub und Plünderung heimkehrten, bildeten kleine Räuberbanden oder dienten Rittern und Grundherren, die zurückkehrten und ihre Ländereien durch den Schwarzen Tod verarmt vorfanden. Von der Plünderung Caens bei Eduards erster Landung bis zum Feldzug Coucys in den Aargau hatte sich eine ganze Generation daran gewöhnt, vom Raub zu leben, und fiel auch zu Hause leicht in diese Gewohnheit zurück. Nach einer Parlamentsbeschwerde ritten Kompanien von Soldaten und Bogenschützen »in verschiedenen Teilen Englands in großen Gruppen umher« und ergriffen Besitz von Herrenhäusern und Ländereien, schändeten Frauen und Mädchen und führten sie mit sich, »prügeln und verstümmeln und erschlagen die Leute, um ihre Frauen und ihr Gut an sich zu bringen«, hielten andere gefangen, um Lösegeld zu erpressen, und erschienen »manchmal bewaffnet in Gerichtsversammlungen in so großer Zahl, daß sie den Richter in Angst versetzen, so daß er sein Amt nicht kühn versieht«. [Ref 228]
Die Gesetzlosigkeit unter den freien Bauern war gewachsen, da ihr Anspruch auf höhere Löhne im Gefolge der Entvölkerung des Landes sie ständig in Konflikte mit dem Gesetz trieb. In einer Welt, die an die Unveränderlichkeit gesellschaftlicher Bedingungen glaubte, erzwang das Arbeiterstatut in blinder Verneinung der Realitäten von Angebot und Nachfrage Löhne wie in den Zeiten vor der Pest. Da die Bestimmungen des Statutes, die den Wechsel des Arbeitsplatzes aufgrund besserer Bezahlung verboten, nicht durchzusetzen waren, wurden die Strafen ständig erhöht. Arbeiter, die das Statut übertraten, aber nicht gefangen werden konnten, wurden zu Gesetzlosen erklärt – und dadurch erst zu Verbrechern gemacht. Freie Bauern gewöhnten sich an ein nomadisches Leben, sie verließen ihren festen Wohnsitz, damit das Statut auf sie nicht mehr anwendbar war, wanderten von Ort zu Ort, suchten Arbeit gegen gute Bezahlung, wo immer sie angeboten wurde, und stahlen und
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