Der ferne Spiegel
Skrupel durch töchterliche Zuneigung oder auch die Erwartung väterlicher Großzügigkeit überwunden. [Ref 226]
Zum Jahreswechsel schenkte Eduard Isabella die vollständige Ausstattung einer Kapelle und zwei Sättel, einen aus rotem Samt, bestickt mit goldenen Veilchen, und einen, der mit Sonnen aus Gold und Kupfer geschmückt war. Sie jagte in Windsor, übte sich mit zwölf Hofdamen im Bogenschießen mit schön gearbeiteten Bogen, die ein Geschenk des Königs waren, und kehrte zweifellos mit einigem Bedauern im Januar 1376 nach Frankreich zurück, als Coucy aus dem Aargau heimkam. Schon im April wollte sie wieder nach England aufbrechen. In diesem Monat bat Coucy den König von Frankreich um Erlaubnis, England mit seiner Frau besuchen zu dürfen.
Seit seiner Rückkehr aus dem Aargau hatten Coucys Freunde ihn zu überzeugen versucht, daß er nun ganz »französisch« werden solle. Nach Froissart argumentierten sie, daß er damit nicht notwendigerweise seine englischen Besitzungen aufs Spiel setzte, weil der König von England nicht erwarten konnte, daß er seine weit bedeutenderen Ländereien in Frankreich aufgäbe, besonders da er »nach Namen, Blut, Wappen und Herkommen« französisch
sei. Da er wußte, daß der französische König ihn hochschätzte, und da er der Krone dankbar war, daß sie seinen österreichischen Feldzug finanziert hatte, und zweifellos auch, weil er nicht den Wunsch hatte, im Falle eines neuen Krieges wiederum eine schwierige und erzwungene Neutralität beachten zu müssen, war Coucy einer Entscheidung sehr nahe. Aber vorher hoffte er offensichtlich, die Frage seiner englischen Ländereien und Einkünfte bei seinem bevorstehenden Besuch in England zu klären. Seine englische Frau, deren Anhänglichkeit an ihre Heimat ungeschwächt war, hätte sich sicherlich energisch gegen eine Abwendung von ihrem Land gewehrt. Nichtsdestoweniger scheint ihr Gatte seine Entscheidung im geheimen bereits getroffen zu haben, als er eine neue Aufgabe übernahm.
»Und da er sah, daß Coucy als einer der weisesten und vorsichtigsten Adligen betrachtet wurde . . . über dessen Güte und Loyalität es keinen Zweifel gab, ließ der König ihm sagen: ›Sire de Coucy, es ist die Absicht des Königs und seines Rates, daß Ihr zu Uns in Frankreich gehören möget und Uns in den Verhandlungen mit den Engländern helfen und beraten möget. Daher bitten Wir Euch, daß Ihr Eure Reise weise und heimlich unternehmt, wie Ihr es wohl vermögt, und daß Ihr von dem König von England entdeckt, zu welchen Bedingungen Frieden zwischen ihnen und uns gemacht werden kann.‹ Und so eilte er zum Aufbruch.«
KAPITEL 14
England in Aufruhr
Coucy kam in England im April 1376 an, gerade als die allgemeine Unzufriedenheit sich im ersten Mißtrauensantrag des Parlaments gegen Minister der Krone äußerte. In jener historischen Sitzung, die »das Gute Parlament« genannt wurde, mußte die Monarchie erkennen, daß sie das Vertrauen des Volkes durch eine Politik verloren hatte, die den Krieg weder gewinnen noch beenden konnte.
Das Scheitern der Friedensverhandlungen von Brügge hatte den öffentlichen Unwillen gegen korrupte königliche Beamte, einen unergiebigen Krieg, militärische Ineffizienz und die Verschwendung oder Unterschlagung von Steuergeldern auf den Siedepunkt gebracht. Dies waren dieselben Mißstände, die zwanzig Jahre vorher die Herausforderung der französischen Krone durch den dritten Stand provoziert hatten. Sie wurden auch aus einem ähnlichen Anlaß besonders bemerkbar, denn die englische Krone brauchte neue Steuergelder, um sich auf das voraussichtliche Ende des Waffenstillstandes in einem Jahr vorzubereiten. Das Parlament war für April einberufen worden, und während sich die Mitglieder versammelten, »hallte London von großem Volksgemurmel wider«.
Sire und Dame de Coucy, die »mit Entzücken« bei Hofe begrüßt worden waren, fanden sich im Zentrum eines Sturms der Volkswut, die die königliche Familie bedrohte und sich vor allem auf Isabellas Bruder, Johann von Gaunt, den Herzog von Lancaster, konzentrierte. Nach der Erkrankung seines Bruders und aufgrund der Senilität des Königs war er die Schlüsselfigur der königlichen Regierung und wurde jetzt für alles, was schiefgegangen war, verantwortlich gemacht.
Das Unterhaus des »Guten Parlaments« setzte sich aus 74 Landedelleuten
der Grafschaften und 60 Abgeordneten der Städte zusammen. Mit Unterstützung des Oberhauses forderten sie die Ahndung und
Weitere Kostenlose Bücher