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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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Selbstsicherheit und Kraft aus seiner Anwesenheit.
    Die tumultuarische Versammlung fand in Westminster statt; das Unterhaus trat im Kapitelhaus der Abtei zusammen und die Lords im Weißen Zimmer des nahe gelegenen Palastes. Als Graf
von Bedford hätte Coucy seinen Platz unter den Lords einnehmen können, aber nichts weist darauf hin, daß er es tat.
    Das Unterhaus ging sofort in die Offensive und wählte zum erstenmal in seiner Geschichte einen »Speaker«, Sir Peter de la Mare, der nicht zufällig der Seneschall des Grafen von March war. Kritische Momente bringen häufig Männer hervor, die ihnen gewachsen sind; Sir Peter erwies sich als ein mutiger, ausdauernder Mann und – in den parteiischen Worten Walsinghams – als ein »von Gott inspirierter Geist«. Im Namen des ganzen Hauses erhob er die Anklage der Mißwirtschaft gegen zwei der königlichen Minister, den Kammerherrn Lord Latimer und Sir Richard Lyons, einen reichen Kaufmann und Mitglied des königlichen Rates, der die Beziehungen der Krone mit den Gewerbetreibenden des Reiches regelte. Eine dritte Anklage wurde gegen Alice Perrers erhoben, die, so sagte man, »jährlich bis zu 3000 Pfund aus den Truhen des Königs erhält. Das Königreich würde aus ihrer Beseitigung großen Nutzen ziehen.« [Ref 234]
    Latimer war ein Mann des Hochadels und Ritter des Hosenbandordens, ein Veteran von Crécy, Auray und von Lancasters langem Marsch. Ihm und Lyons warf der Speaker vor, immense Vermögen durch Intrigen und Fälschungen angehäuft zu haben, darunter die Annahme von 20 000 Pfund als Rückzahlung des Königs für einen Kredit von 20 000 Mark, obwohl die Mark ein Drittel weniger wert war als das Pfund.
    Ein Unterhausmitglied nach dem anderen sprach von einer Art Pult in der Mitte des Raums aus und fügte der Anklage seine Beschwerden und Vorwürfe hinzu. Die Räte des Königs, sagten sie, seien an der Verarmung des Volkes reich geworden; sie hätten den König betrogen und seine Einkünfte verschwendet, was zu immer neuen Sondersteuern führte. Das Volk sei zu arm und zu schwach, um noch weitere Besteuerung zu ertragen. Das Parlament solle statt dessen darüber diskutieren, wie der König den Krieg aus eigenen Reserven finanzieren könnte.
    Erzürnt durch die Anmaßung jener, die er »diese kleinen Hekkenritter« nannte, drohte Lancaster in kleinem Kreis, »sie so zu erschrecken, daß sie mich nie wieder reizen werden«. Er wurde von einem Berater gewarnt, daß das Unterhaus »das Wohlwollen des
Prinzen, Eures Bruders«, habe und die Unterstützung der Londoner, die nicht zulassen würden, daß den Mitgliedern etwas zustieße. Darauf entschloß sich der Herzog abzuwarten und besuchte in so höflicher Form das Unterhaus, daß die Mitglieder ihn voller Erstaunen anstarrten; aber sie ließen sich nicht davon abbringen, die Klagen gegen Latimer und Lyons weiterzuverfolgen. Sie riefen zwei ehemalige Schatzmeister als Zeugen auf, forderten, die staatlichen Bücher einzusehen, und führten die Beweiserhebung in der Form eines ordentlichen Gerichts durch. Als alle Aussagen gehört waren, rief das Unterhaus wie mit einer Stimme: »Lord Herzog, nun könnt Ihr sehen und hören, daß Lord Latimer und Sir Richard Lyons zu ihrem eigenen Vorteil falsch gehandelt haben, wofür wir ihre Absetzung und Bestrafung fordern.«
    Als Latimer fragte, durch wen und unter welcher Autorität er angeklagt sei, gab ihm Sir Peter de la Mare die historische Antwort, daß das Unterhaus als Körperschaft der Anklagevertreter sei. Mit einem Schlag schuf er damit das konstitutionelle Instrument des »Impeachment« und der Abwahl von Ministern. Lyons glaubte, den Prozeß dadurch verhindern zu können, daß er dem Schwarzen Prinzen ein Schmiergeld in Höhe von 1000 Pfund, in einem Faß Stör verborgen, zusandte. Der Prinz schickte das Faß zurück, aber der König nahm eine ähnlich hohe Bestechungssumme mit bequemem Zynismus und dem Scherz an, daß er nur sein Eigentum zurückerhalte.
    Das Parlament befand die Anschuldigungen als bewiesen. Die beiden angeklagten Minister und vier Untergebene, darunter Latimers Schwiegersohn, Lord Nevill, wurden verurteilt, aus ihren Ämtern entlassen und zu Geld- und Gefängnisstrafen verurteilt. Latimer allerdings wurde kurz darauf gegen Kaution wieder freigelassen. Sogar Alice Perrers wurde verurteilt, und der König mußte in schweigendem Elend ihre Verbannung vom Hofe hinnehmen.
    Gerade als das Parlament den Höhepunkt seiner legislativen Leistung erreichte,

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