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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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und verbrennen zu lassen. Trotz seiner Anweisungen gab es nur wenige Fälle von Verfolgung bis zur zweiten Hälfte des Jahrhunderts, als die Zauberei und ihre Verbindungen zur Dämonologie verschärft bekämpft und unterdrückt wurden. 1366 verabschiedete das Konzil von Chartres einen Erlaß, der vorsah, daß ein Bannfluch gegen die Zauberer jeden Sonntag von jeder Gemeindekanzel verkündet werden sollte.
    Die Dämonologie und die Schwarzen Künste waren das Gegenteil von Ketzerei, [Ref 249] nicht frommer als die Kirche, sondern jeder Frömmigkeit fern, Versuche, Verbindung mit dem Teufel, nicht Gott, aufzunehmen. In die Riten Eingeweihte beteten Luzifer an, von dem erwartet wurde, daß er zusammen mit den anderen gefallenen Engeln den Himmel zurückerobern würde, während der Erzengel Michael und sein Gefolge ihren Platz in der Hölle einnehmen
würden. Ein Pakt mit dem Teufel bot Vergnügen ohne Buße, Genuß der Sexualität, des Reichtums und die Erfüllung irdischen Ehrgeizes. Wenn der Preis ewiges Höllenfeuer war, so war das etwas, was viele ohnedies nach dem Jüngsten Gericht für sich erwarteten. Die Dämonologie war ein altes, unausrottbares menschliches Phänomen, aber insoweit sie eine alternative Antwort bot, wurde sie von der Kirche als gefährlich angesehen.
    Das eigentliche Problem war, zwischen diabolischen und rechtmäßigen magischen Kräften zu unterscheiden. Angesehene Zauberer behaupteten, daß ihre Wachspuppen dadurch Macht gewännen, daß die getauft und exorziert waren, daß ihre Mysterien durch das Zelebrieren der Messe geheiligt würden, daß Gott beschworen wurde, um den Gehorsam der Dämonen zu erzwingen – daß tatsächlich Gott ihre Kunst begünstigte, was durch ihre Erfolge bewiesen sei. Die Zauberei bot ihre Heilmittel in allen Fällen an, und sei es nur zur Läuterung eines untreuen Liebhabers oder zur Kurierung einer kranken Kuh. Erst als der Horizont des 14. Jahrhundert sich verdunkelte, wurden Magie und Hexerei allgemein als ein Pakt mit dem Satan angesehen.
    Frauen wandten sich der Hexerei aus dem gleichen Grunde zu, der sie in den Mystizismus trieb. In Paris wurde 1390 eine Frau vor Gericht gestellt, weil sie sich angeblich an dem Liebhaber, der sie sitzenließ, gerächt hatte, indem sie ihm durch die magischen Kräfte einer anderen Frau die Potenz nahm. Beide Frauen wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Im folgenden Jahr wurden zwei weitere Frauen der Anklage der maleficiam oder Missetat überführt. Da Geständnisse in Hexenprozessen durch die Folter erpreßt wurden, spiegeln die Anklagepunkte meist eher die diabolischen Vorstellungen der Verfolger als die der Verfolgten wider. Weil überdies die Angeklagten häufig Fanatiker, Verrückte oder gestörte Menschen waren, übernahmen sie auch bereitwillig die Vorstellungen, die ihnen nahegelegt wurden. Sie gaben zu, mit den Dämonen verkehrt und aus Lust oder Rache einen Pakt mit dem Teufel geschlossen zu haben. Sie beichteten diabolische Riten und Flüge durch die Nacht, Kopulationen mit dem Teufel in Gestalt einer riesigen schwarzen Katze oder Ziege mit glühenden Augen oder eines gewaltigen Mannes mit schwarzer Haut, einem enormen Phallus
und Augen wie brennenden Kohlen. Der Teufel wurde als heidnischer Satyr geschildert mit Hörnern und Hufen, spitzen Zähnen und Klauen, schwefligem Gestank und manchmal auch mit Eselsohren. Der Volksmythos entwickelte sich mindestens ebensosehr aus den Vorstellungen der Verfolger wie aus den Halluzinationen der Angeklagten, und zusammen legten die beiden Parteien die Grundlage für das Wüten gegen die Hexerei, das im nächsten Jahrhundert ausbrechen sollte.
    Die klare Stimme des gesunden Menschenverstandes sprach aus Nicolas Oresme, [Ref 250] dem königlichen Berater der Philosophie, der sowohl die Astrologie als auch die Hexerei verachtete. Obwohl ein Bischof, war Oresme ein naturwissenschaftlicher Kopf, ein Mathematiker und Astronom, überdies der Übersetzer von Aristoteles’ Politik und Ethik. Eines seiner Bücher begann mit den Worten: »Die Erde ist rund wie ein Ball«, und er postulierte auch die Rotation der Erde. Er bestritt die magischen Kräfte der Zauberer und leugnete, daß sie in der Lage seien, Dämonen zu beschwören, obwohl er die Existenz der Dämonen selbst nicht ausschloß. Nicht alle Dinge, schrieb er, seien durch natürliche Vorgänge zu erklären; einige Wunder oder unerklärliche Schicksalswendungen mußten das Werk von Engeln oder Dämonen sein, aber er zog es

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