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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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päpstlichen
Exils von Avignon. Nur ein tiefer Materialismus und Zynismus konnte einen Mann wie Robert von Genf auf den Stuhl Petri bringen. Die Klagen der Reformer hätten nicht vollkommener gerechtfertigt werden können.
    »O unselige Männer!« schrie Katharina von Siena auf, »Ihr, die Ihr Euch an der Brust der Kirche nähren solltet, die Ihr wie Blumen in ihrem Garten sein solltet, süß duftend, die Ihr die Pfeiler sein solltet, den Vertreter Christi zu stützen, die Lampen zur Erleuchtung der Welt und zur Verbreitung des Glaubens . . . Ihr, die Ihr Engel auf Erden wart, Ihr habt Euch den Wegen des Teufels zugewandt ... Weshalb? Das Gift der Eigensucht zerstört die Welt.« Wenn ihre reiche Metaphorik auch gemischt war, so war ihre Ausdrucksweise ein Maßstab ihrer Ehrfurcht vor den Großen der Kirche und der Tiefe ihrer Enttäuschung. Mit dem gesunden Menschenverstand, der so oft aus ihren verbalen Rhapsodien hervorbrach, glaubte Katharina keinen Moment an das Argument der Kardinäle, sie hätten Urban VI. unter Zwang gewählt. [Ref 261]
    Weit entfernt davon, zurückzutreten, ernannte Urban innerhalb einer Woche ein völlig neues Kardinalskollegium und heuerte eine Söldnerkompanie unter einem der ersten italienischen condottieri , Alberigo da Barbiano, an. »Jetzt ist die Zeit für neue Märtyrer«, ermutigte ihn Katharina. »Ihr seid der erste, der sein Blut gegeben hat; wie groß ist die Frucht, die Ihr empfangen sollt!« Sie sollte anfangs recht behalten. In einer Schlacht gegen die Truppen seines Rivalen siegte Barbianos Kompanie. Sie eroberte die Engelsburg zurück und nahm die beiden feindlichen Hauptleute gefangen. Klemens VII. mußte fliehen und suchte Zuflucht bei Johanna von Neapel. Die Bevölkerung dort war aber so feindselig, daß unter den Rufen: »Tod dem Antichrist! Tod Klemens und seinen Kardinälen! Tod der Königin, wenn sie sie schützt!«, Unruhen ausbrachen und er gezwungen war, das Land zu verlassen. Da es für ihn in Italien keine Sicherheit mehr gab, kehrte er mit seinen Kardinälen im April 1379 nach Avignon zurück.
    Ein Papst und ein Kardinalskollegium in Rom und ein anderer Papst samt Kollegium in Avignon – das Schisma war zu schrecklicher Wirklichkeit geworden. Es war die vierte Geißel – nach Krieg, Seuche und den Briganten – eines gequälten Jahrhunderts. Seit der
Wahl von Fondi war jeder Herrscher gezwungen, sich für eine der beiden Seiten zu entscheiden, oft mit der Folge, daß er mit der Geistlichkeit zerfiel oder die Geistlichkeit mit dem Volk. Karl V. erkannte im November 1378 Klemens offiziell an und gab eine Proklamation heraus, die es jedem, Geistlichen wie Laien, verbot, Urban VI. zu gehorchen. Er wies eine Schlichtung durch ein Konzil zurück, die die Universität von Paris angeregt hatte, weil er keine Lösung zulassen wollte, die den französischen Interessen zuwiderlief. Die Universität, tief betroffen, mußte sich fügen.
    England blieb – in Opposition zu Frankreich und einem französischen Papst – Urban treu; Schottland ergriff natürlich daraufhin für Klemens Partei. Flandern, obwohl ein Lehen der französischen Krone, blieb urbanistisch, vor allem, weil der Graf von Flandern eine proenglische Politik verfolgte. Kaiser Karl IV. starb rechtzeitig, so daß ihm die Entscheidung erspart blieb, aber sein Sohn und Nachfolger Wenzel erklärte sich für Urban und zog den größten Teil des Kaiserreiches mit sich. Diese Entscheidung des neuen Kaisers, der sich Ungarn, Polen und Skandinavien anschlossen, war eine bittere Enttäuschung für Karl V., der geglaubt hatte, durch sein Vorbild andere Herrscher beeinflussen zu können, was Urban isoliert und vielleicht zur Abdankung bewegt hätte.
    Urbans Handlungen nach der Verstoßung durch die alten Kardinäle wurden noch wilder, irrationaler und unkontrollierter als vorher. Er exkommunizierte Johanna von Neapel, weil sie Klemens unterstützt hatte, und erklärte sie zugunsten eines ihrer vielen thronhungrigen Verwandten, Karl von Durazzo, für abgesetzt. Dadurch stürzte Urban das Papsttum in einen erbarmungslosen Konflikt. Er stritt mit Katharina von Siena über diesen Punkt, und als sie an selbstauferlegten Entbehrungen kurze Zeit später starb, verlor er die wärmste und ausdrucksstärkste Stimme, die für ihn gesprochen hatte. Er verschwendete Zeit und viel Energie auf die Förderung eines Taugenichts von einem Neffen, Francesco Prignano, und als Karl von Durazzo sich weigerte, dem Neffen bestimmte

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