Der ferne Spiegel
auch zum Mitglied des Regentschaftsrates für den Dauphin ernannt, um den sich Karl seit dem Tod der Königin wachsende Sorgen machte. Da die königlichen Herzöge Clisson ablehnten, blieb das Amt des Constable vorerst vakant.
An dem Tag, als Coucy sein Kommando in der Picardie antrat, am 19. Juli 1380, landete Buckingham in Calais und brach mit einer Streitmacht, die nach den Aufzeichnungen seines Zahlmeisters 5060 Mann umfaßte, zu einem Marsch der Plünderung und Verwüstung durch die Region auf, für die Coucy nun verantwortlich war. Buckinghams Feldzug sollte sich als eine Wiederholung von Lancasters Scheitern sieben Jahre zuvor erweisen – er marschierte ebenso wie sein Vorgänger sehenden Auges in Entbehrungen, Hunger und Hoffnungslosigkeit hinein. Das strategische Ziel war, Montfort in der Bretagne Entlastung zu bringen und die englischen Brückenköpfe dort wiederzugewinnen. Buckingham indessen schlug wie vorher Lancaster einen weiten Bogen nach Osten
durch die Champagne und Burgund – auf der Suche nach Kampf und Beute. Da dieselbe Taktik dieselben Ergebnisse hervorbrachte wie zuvor, stellt sich die Frage: Warum diese wahnsinnige Hartnäckigkeit? Thomas von Buckingham selbst ist Teil der Antwort. Von Natur aus aggressiv und rücksichtslos und in seinem Verhalten »von staunenswerter Überheblichkeit« wie sein Bruder, der Schwarze Prinz, sah er mit Widerwillen, wie Lancaster die Macht im Königreich an sich riß, und fühlte sich als Erbe der Tapferkeit und des Ruhms seines Vaters und seines ältesten Bruders. Die englischen Ritter sahen sich selbst noch immer in der triumphalen Ära von Poitiers und Najera. »Die Engländer«, sagte Clisson, nachdem er sich von ihnen abgewandt hatte, »sind so stolz auf sich selbst und haben so viele gute Tage (des Krieges) hinter sich, daß sie glauben, sie könnten nicht verlieren.« [Ref 282]
Mit einer Streitmacht, die zur Hälfte aus Reisigen und zur Hälfte aus Bogenschützen bestand, ritten die Engländer durch das Artois und die nördliche Picardie. Sie blieben, da sie mit einem französischen Angriff rechneten, dicht zusammen. »Sie sollen ihre Schlacht bekommen, bevor ihr Marsch zu Ende ist«, versicherte Coucy den Rittern, die ihm Nachrichten von den Bewegungen der Engländer überbrachten, obwohl er genau wußte, daß der König die Schlacht verboten hatte. Karl V. war von seiner Philosophie des Krieges nicht abzubringen. Da er selbst nichts weniger als ein Krieger war, stand persönlicher Stolz der Anwendung seiner Erfahrung nicht im Wege, und er zögerte auch nicht, den Stolz seiner Ritterschaft durch Erinnerungen an zurückliegende Niederlagen zu verletzen. Seine eigene Initiation in den Krieg an jenem schrecklichen Tag von Poitiers hatte ein Trauma hinterlassen. Wenn die Engländer in ihrer Überzeugung, »nicht verlieren zu können«, einer Mystik des Erfolges verfallen waren, so litt Karl V. unter den Auswirkungen einer dem entgegengesetzten Psychologie. Aus den großen Zusammenstößen im frühen Teil des Krieges hatte er die Lehre gezogen, daß die Streitkräfte im Angriff nicht zuverlässig zu lenken waren und daß der Krieg zu wichtig war, als daß man ihn den Zufälligkeiten der Schlacht überlassen konnte.
Von seinem Hauptquartier in Péronne an der Somme aus erließ Coucy einen allgemeinen Gestellungsaufruf an alle Ritter und
Knappen des Artois und der Picardie. Die Dokumente zeigen, daß er von Ort zu Ort reiste, er inspizierte Truppen in Hesdin, Arras, Abbeville und Saint Quentin, teilte dort die Einheiten für die Verteidigung der Städte zu, »denn er war darauf bedacht, daß durch keine Nachlässigkeit von seiner Seite ein Verlust erlitten werden sollte«. Wie weit Coucy als ein Mann des Schwertes mit der Politik des Königs übereinstimmte, bleibt unerwähnt; er führte den Befehl aus, Buckingham zu folgen und jede Schlacht zu vermeiden, auch wenn der Feind eine Spur brennender Dörfer durch seine Domäne zog. Gewisse Aktionen aber weisen darauf hin, daß er die Ungeduld seiner Ritter teilte, die Qual der Zurückhaltung zu beenden.
Gruppen von französischen Rittern blieben der englischen Armee dicht auf den Fersen, um ihre Versorgung zu behindern, und die Nähe war eine ständige Versuchung, sich auf Kämpfe einzulassen. Obwohl ein Bericht die Franzosen als immobilis quasi lapsis (unbewegt wie Steine) schildert, waren Gefechte unvermeidlich, kleinere Zusammenstöße, bei denen sie aber im ganzen den Engländern unterlegen waren. In
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