Der ferne Spiegel
schwedische Edeldame, die in Rom lebte und die Sünden der Zeit beredt beklagte, nannte die päpstliche Residenz »ein Feld des Stolzes, der Habgier, Selbstherrlichkeit und Korruption«. Aber zur Korruption gehören immer zwei, und wenn der Papst sündigte, dann tat er es nicht allein. In einer Welt ständiger politischer Umbrüche und bei dem unablässigen Geldhunger der Herrscher brauchten Papst und Könige einander und arrangierten sich. Sie handelten mit Ländereien, Thronen, Soldaten, Bündnissen und Krediten. Es wurde zu einer regulären Methode, Aushebungen für einen Kreuzzug anzukündigen, was dem König erlaubte, Steuern auf kirchliche Einkünfte zu erheben; nach einiger Zeit betrachtete er das dann als sein gutes Recht. Die einfachen Kirchenleute eiferten den Kirchenfürsten nach. Wenn die Prälaten in reicher Kleidung einherkamen, verloren auch die kleineren Würdenträger die Lust an ihren dunklen Röcken. Die Beschwerden häuften sich wie die des Erzbischofs von Canterbury im Jahre 1342, der beklagte, daß sich die Geistlichkeit wie Laien kleidete mit rot und grün karierten Mänteln, »eng anliegend«, und mit besonders weiten Ärmeln, die Pelz- und Seidenbesätze aufwiesen, mit Hüten und Stolas von »erstaunlicher Länge«, mit spitzen und geflochtenen Schuhen und juwelenbesetzten Gürteln mit goldenen Taschen. Schlimmer noch, sie mißachteten die Tonsur, trugen Bärte und entgegen den kanonischen Regeln lange Haare »zum tiefen Entsetzen des Volkes«. Einige hielten sich Narren, Hunde und Falken, einige reisten mit Ehrengarde im Land umher. Die Simonie blieb auch nicht auf die hohen Ämter beschränkt.
Kauften die Bischöfe Pfründen zum Preis eines Jahresertrages, so gaben sie die Kosten nach unten weiter, so daß die Korruption sich durch die Hierarchie ausbreitete, vom Prior zu den Priestern über die Mönche bis hin zu den Bettelmönchen und den Ablaßhändlern. Auf dieser Ebene begegnete dann der Materialismus der Kirche den einfachen Leuten, und seine krasseste Form war der Ablaßhandel.
Angeblich im Auftrag der Kirche verkauften die Ablaßhändler Vergebung für alle Sünden von der Völlerei bis zum Mord, hoben gegen Geld jeden Eid auf vom Keuschheitsgelübde bis zum Fastenschwur, erließen jede Buße zu einem bestimmten Preis, von dem sie das meiste in ihre Tasche steckten. Wenn sie beauftragt waren, Geld für einen Kreuzzug einzuziehen, so nahmen sie nach Aussage von Villani [Ref 28] von den Armen an Stelle des Geldes auch »Leinen und Wollstoffe, Möbel, Getreide oder Futtermittel, betrogen die Leute, die glaubten, dem Kreuz zu opfern«. Die Ablaßhändler gingen mit der Erlösung hausieren, sie nutzten die Bedürfnisse und die Leichtgläubigkeit der Leute aus.
Die bestallte Geistlichkeit verachtete den Ablaßhändler, weil er das Sakrament der Buße entwürdigte und die Seelen der Menschen mit wirkungslosen Ritualen betrog und sich in das Reich der Kirche drängte. An Festtagen sammelte er Geldopfer, er veranstaltete Begräbnisse und andere Zeremonien, deren Gebühren der jeweiligen Pfarre hätten zufließen sollen. Aber das System erlaubte ihm seine Tätigkeit, weil es an seinen Profiten teilhatte.
Die Mönche und Wanderprediger waren als Verführer von Frauen bekannt. Sie handelten mit Pelzen und Gürteln für Mädchen und Frauen und mit kleinen Schoßhunden, »um sich bei ihnen einzuschmeicheln«.
In Boccaccios Erzählungen oder in den Fabliaux Frankreichs, in der gesamten populären Literatur der Zeit ist das kirchliche Zölibat nicht mehr als ein Witz. Eine Geschichte der Zeit beginnt ganz selbstverständlich: »Ein Priester lag im Bett mit der Dame eines Ritters.« In einer anderen heißt es: »Der Priester und seine Frau gingen zu Bett.« In dem Nonnenkloster, in dem Piers Plowman als Koch diente, war Schwester Pemell »das Mädchen des Priesters«, die »ihm zur Kirschblüte ein Kind gebar«. Boccaccios verdorbene
Mönche wurden ausnahmslos unter eindeutigen Umständen erwischt. In der Realität aber war ihre Sündhaftigkeit nicht lustig, sondern bedrohlich, denn wie sollten sie die Seelen retten, wenn sie selbst der Heiligkeit so fern waren? Dieses Gefühl des Volkes, betrogen und verraten zu werden, erklärt, warum die Bettelmönche so oft das Ziel offener Angriffe wurden, manchmal sogar von Tätlichkeiten. Ein Dokument von 1327 hält den Grund in aller Schlichtheit fest: »Sie benahmen sich nicht, wie Mönche sich benehmen sollten.«
Dem Idealbild des heiligen Franziskus
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