Der ferne Spiegel
Leuten die Zitadelle hielt, wurde nahegelegt, zu kapitulieren. Als Belohnung war Florenz bereit, den rückständigen Sold seiner Truppe zu bezahlen. Angesichts der Hoffnung auf eine Bezahlung, die sie schon abgeschrieben hatten, ließen Carraciolos Männer ihren Führer wissen, daß sie bereit waren, den sinnlosen Widerstand aufzugeben. Dementsprechend erklärte er sich bereit, unter der Bedingung zu kapitulieren, daß Florenz ihn für den Schaden, den er durch die Verteidigung der Stadt erlitten hatte, entschädigte. »Ohne Geld kein Kampf«, war die geläufige Verhaltensregel im Zeitalter des Rittertums.
Da Florenz sich entgegen seiner Verpflichtung zur Neutralität auf einen Waffengang mit Coucy vorbereitet hatte, war die Stadt über mögliche Vergeltungsmaßnahmen durch Frankreich besorgt.
Um dergleichen zu verhindern, schickte die Signoria ein umfangreiches Kompendium von Coucys Missetaten an Karl VI.: die Plündereien und Gewalttaten, die Tributforderungen, die Verbindung mit Rebellen (den Tarlati) auf florentinischem Boden. In kummervollen Worten sprach der Text davon, wie Coucy, nachdem er friedvolle Absichten vorgegeben habe, wie ein Feind über das Land hergefallen sei, wie »wir, obgleich nicht an betrügerische Worte gewöhnt, seine Pläne durchschauten« und traurig waren, daß »ein solch edler und hochsinniger Mann, besonders da er von gallischem Blut ist, dessen wahre und natürliche Tugend die Großmut sein sollte, es sich erlauben konnte, Lügen zu erfinden und Fallen zu stellen«; wie in dem Glauben, daß er bei seinem Verhalten nicht wirklich den König von Frankreich repräsentieren konnte, »wir eine Armee aufstellten, um Gewalt mit Gewalt zu beantworten«; wie schließlich »wir dies mit Kummer und Bitterkeit niederlegen, damit Ihr wissen möget, daß unser Handeln gerechtfertigt ist«.
Dies gesagt und dokumentiert, kam die Republik zu einem freundschaftlichen Arrangement mit Coucy. In zwei geschickt aufgesetzten separaten Verträgen vom 5. November wurden die Bedingungen festgelegt. Im ersten Vertrag trat Coucy in dem Wunsch, die Zuneigung, Treue und den Respekt, den die Republik von Florenz seit je dem königlichen Haus Frankreichs erwiesen habe, anzuerkennen und zu belohnen, Arezzo mitsamt seinen Mauern, Festungen, Häusern, Ausrüstungen, Einwohnern, Rechten und Privilegien für immer an Florenz ab. In dem Vertrag fand sich keine Erwähnung einer finanziellen Regelung, damit er als ein reiner Akt der Wahrnehmung angevinischer Interessen von Coucys Seite angesehen werden konnte. Er machte es zur Bedingung der Abtretung, daß die Tarlati in den Genuß ihres Eigentums zurückversetzt würden, daß Florenz im Kampf um Neapel neutral bliebe, daß französischen Botschaftern und Gesandten nach Neapel freies Geleit durch die Toskana zugestanden würde und daß er und seine Männer dies selbe Recht bei ihrer Rückkehr nach Frankreich in Anspruch nehmen könnten.
Die Summe, auf die man sich im zweiten Vertrag einigte, war das Doppelte dessen, was Coucy von Siena verlangt hatte. Angesichts
der großen Kosten, die die Einnahme von Arezzo dem Sire de Coucy verursacht hatte, und angesichts der Tatsache, daß er durch florentinisches Staatsgebiet gezogen war, »ohne Schaden anzurichten« (Florenz war in diesen Dingen flexibel), und beabsichtigte, in gleicher Weise zurückzukehren, erklärte sich die Republik bereit, ihm 40 000 Florins zu zahlen, von denen drei Viertel ihm sofort noch vor der Übergabe der Stadt zu überbringen waren und die restlichen 10 000 entweder in Bologna, Pisa oder Florenz, ganz wie er wünschte, auf jeden Fall innerhalb von zwei Wochen nach seinem Aufbruch von Arezzo. In großzügiger Verfügung über das Eigentum der Bürger von Arezzo erlaubte Florenz den Franzosen mitzunehmen, was immer sie zu tragen vermochten.
Die Einigung war ein Meisterstück der Kunst, den Schein zu wahren und doch das Ziel zu erreichen. Die Verlierer waren Karl von Durazzo, der geschaffene Tatsachen akzeptieren mußte, die Tarlati, die alle ihre Hoffnungen, die Macht in Arezzo zurückzugewinnen, enttäuscht sahen, und das Volk von Arezzo, das niemand für seine Leiden entschädigte. Aus Rache brachten die Tarlati am Tag des Aufbruchs eine Gruppe von Franzosen um und lockten andere »durch Einladungen zum Essen in ihr Haus, um sie hinterher zu ermorden«. Coucy forderte eine Strafaktion durch Florenz, als Beweis, daß solche Feindseligkeiten »Euch ernsthaft bekümmern und unsere Freundschaft auf
Weitere Kostenlose Bücher