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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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mit seiner Armee in unseren Staatsgeschäften zu unterstützen.« Ohne Zweifel hatte Coucy die italienischen Umgangsformen schnell gelernt. Er versicherte den Florentinern, daß ihre Furcht unbegründet sei, und versprach, sich auf seinem Marsch durch ihr Staatsgebiet an eine streng begrenzte Route zu halten. Sie akzeptierten seine Versicherungen, vielleicht weniger, weil sie ihm trauten, als aus dem einfachen
Grunde, daß sie, da Hawkwood in Neapel war, gar nicht in der Lage waren, ihm den Weg zu verlegen. Neutral, aber mißtrauisch stellten sie immerhin eine Kompanie von viertausend Bauern und Gemeinen auf, um Coucys Marschroute zu überwachen.
    Coucy brach im August auf, überquerte die Apenninen und marschierte vom Westen her in das Land der »toskanischen Wunder« ein. Zypressen ragten in den blauen Himmel, Weinstöcke und silberne Olivenbäume bedeckten die sanften Hänge. Zwischen Anhöhen, auf denen Burgen oder Dörfer lagen, bummelten langsame weiße Ochsen durch eine Landschaft, die seit zweitausend Jahren von Hand kultiviert war. Die französische Armee drang in diesen Frieden gewalttätig ein auf einem Marsch, der keineswegs friedlich war, wie Coucy versprochen hatte. Zu ihrem stupor et dolor (Schock und Schmerz), wie die Florentiner sich später bitter beim König von Frankreich beklagten, mußten sie feststellen, daß »er im Herzen nicht so empfand, wie er nach außen vorgegeben hatte«. Teils um die Florentiner einzuschüchtern und sie nachdrücklich daran zu erinnern, neutral zu bleiben, teils um seine Söldner zu bezahlen und zu versorgen, erzwang Coucy Tributzahlungen von Städten, plünderte Dörfer und eroberte sogar Burgen. Florenz sandte ihm immer neue Botschafter, die »Frieden, Frieden« riefen und ihm reiche Geschenke und die Versicherung andauernder Neutralität anboten, wenn er das florentinische Land verschonte. Coucy antwortete weiterhin umgänglich und beschwichtigend, aber die einmal entfesselte Gewalt wurde zu Raub und Plünderung und ließ sich nur schwer wieder zügeln.
    »Sie stahlen nicht nur Gänse und Hühner, raubten nicht nur die Taubenschläge aus und schleppten die Schafe, Böcke und das Vieh davon«, lautete eine florentinische Klageschrift, »sie erstürmten unsere waffenlosen Mauern und unverteidigten Häuser, als lägen sie im Krieg mit uns. Sie nahmen Leute gefangen und folterten sie und erzwangen Lösegelder. Sie töteten Frauen und Männer aufs grausamste und steckten ihre leeren Häuser in Brand.«
    Während Coucy vorrückte, erfuhren die Florentiner mit Entsetzen, daß er mit den verbannten Herren von Arezzo, einer alten und wichtigen Stadt in den Bergen, in Verbindung stand. Die Florentiner hatten seit langem geplant, Arezzo zu annektieren, und standen
nun kurz vor der Erfüllung ihrer Wünsche. Im Kampf der Guelfen und Ghibellinen war die herrschende Familie von Arezzo, die Tarlati, 1380 entmachtet worden, und die Sieger, die zu schwach waren, um die Stadt alleine zu kontrollieren, hatten Karl von Durazzo zu Hilfe gerufen. Er oder seine Abgesandten behandelten Arezzo indessen wie eine eroberte Stadt, unterwarfen sie der üblichen Plünderung und zwangen den Einwohnern Hilfszahlungen auf, worauf diese sich Florenz zuwandten. Nach komplizierten Verhandlungen standen die Florentiner dicht vor einem Vertragsabschluß mit Durazzo, der vorsah, daß er ihnen die Stadt praktisch verkaufte, als Coucy auf der Bildfläche erschien und all ihre Hoffnungen zu zerstören drohte. Sie hörten, daß die Tarlati, die Herren von Pietramala, Coucy angeboten hatten, ihm bei der Eroberung der Stadt zu helfen, und daß er mit ihnen einen Vertrag dieses Inhalts geschlossen hatte. Coucys Ziel war es, eine Basis für die angevinische Sache zu gewinnen und eine Position, aus der er Florenz zwingen konnte, ihm Nachschub zu liefern. Auch wenn er dadurch Hawkwoods Kompanie von Neapel weg auf sich zog, wären die Kräfte, die gegen den Herzog von Anjou standen, dadurch geschwächt worden.
    Zwischen Coucy und Florenz begann nun ein Duell. Je näher er seinem Ziel kam, desto strenger wurden Coucys Forderungen und desto seltener seine Versicherungen. Als die Florentiner sich erneut über Plünderungen seiner Soldaten beschwerten, antwortete er, daß die Bevölkerung Widerstand geleistet habe, und forderte mit kühler Arroganz eine Tributzahlung von 25 000 Florins von Florenz und 20 000 Florins von Siena. Die Signoria trat in großer Sorge zusammen; einige rieten zu zahlen, andere waren dagegen,

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