Der ferne Spiegel
festem Boden steht«. Florenz äußerte sein tiefstes Bedauern und lieferte anstelle einer Strafexpedition eine künstlerisch abgefaßte Tirade gegen die »abscheulichen« Herren von Pietramala. Ihr Familienname Tarlati, wurde darin ausgeführt, leitete sich aus dem Wort her, das »verrottetes, von Insekten angenagtes Holz« bedeutete, während der Name Pietramala, hergeleitet von pietra (Stein), ihnen gleichfalls angemessen sei, »denn sie sind hart und unbeugsam in ihren Verbrechen«. Mit diesen farbigen, wenig hilfreichen Bemerkungen ging das Duell zwischen Coucy und Florenz zu Ende. [Ref 313]
Die eingegangenen Verpflichtungen wurden eingehalten. Florenz zahlte am 15. und 17. November 30000 Florins, Carraciolo ergab sich am 18., Coucy verließ Arezzo am 20. Um einer feindlich gesinnten Bevölkerung auszuweichen, wählte er für den Rückmarsch eine andere Route, überquerte die Berge und zog am östlichen
Fuß des Apennins nach Bologna, wo er Weihnachten die letzte Rate seiner Auszahlung in Empfang nehmen konnte. Er betrat Avignon im Januar 1385, was eine kühne Überquerung der Alpen mitten im Winter den unter den Umständen bemerkenswerten Erfolgen seiner Expedition hinzufügte.
Coucys für diese Zeit ungewöhnliche Gabe war es, einen Blick für die Realitäten zu besitzen, was sich an dem Kontrast zwischen seiner Expedition und der des Herzogs von Anjou erwies. Der Kampf um die Krone von Neapel war – wie hart er auch von Kritikern im nachhinein beurteilt wurde – nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt. Anjou hatte eine ebenso große Chance und sicherlich die bessere Legitimation als sein Rivale, Karl von Durazzo. Was ihm zum Verhängnis wurde, waren ein zu später Aufbruch, schlechte Kriegführung und die Verschwendung von Zeit und Reserven durch die zeremonielle Darstellung der Königswürde, noch bevor er den Thron gewonnen hatte. Hätte er einen entschlossenen und spartanischen Feldzug geführt, in dem alle Energien und Ressourcen auf das eine Ziel gerichtet gewesen wären, hätte das Ergebnis sehr wohl anders aussehen können. Aber dieses »hätte« fordert eine moderne Einstellung in einer mittelalterlichen Welt.
Der soziale Schaden lag weniger in dem Fehlschlag als in den Kosten des Unternehmens. Die Mittel, die der Krieg verschlang, waren das Gift des 14. Jahrhunderts. Die Summen, die die Krone beitrug, und die, die Anjou selbst heranschaffte, die Gelder, die Pierre de Craon stahl, gar nicht gerechnet, wurden dem Volk von Frankreich abgepreßt – und dies für ein Anliegen, das ihm in keiner Weise jemals nützlich sein konnte. Als er von Anjous Tod hörte, brach ein Schneider von Orléans mit Namen Guillaume le Jupponnier, [Ref 314] »überwältigt vom Wein«, in eine Tirade aus, aus der die selten aufgezeichnete Stimme seiner Klasse spricht: »Wozu ist er dorthin gezogen, dieser Herzog von Anjou, dort hinunter, wo er hinging? Er hat geplündert und geraubt und Geld nach Italien geschleppt, um ein anderes Land zu erobern. Er ist tot und verdammt, und der König Ludwig der Heilige auch, wie alle anderen. Dreck, Dreck von einem König und einem König! Wir haben keinen König außer Gott. Glaubt ihr, sie wären in Ehrlichkeit an das gekommen,
was sie haben? Sie besteuern mich und besteuern mich noch mal, und es tut ihnen weh, daß sie nicht alles haben können, was wir besitzen. Warum sollten sie mir nehmen, was ich mit meiner Nadel verdiene? Mir wäre lieber, der König und alle Könige krepierten, als daß mein Sohn sich am kleinen Finger verletzte.«
Der Bericht von der Rede des Schneiders stellt fest, daß seine Worte ausdrückten, »was andere nicht zu sagen wagten«. Nach seiner Festnahme und Einkerkerung wurde er vom Gouverneur von Orléans begnadigt.
Die Witwe des Herzogs von Anjou, die geborene Marie de Bretagne, eine Tochter des asketischen, aber rücksichtslosen Karl von Blois, kämpfte für ihren Sohn Ludwig II. mit der gleichen energischen Hartnäckigkeit, mit der ihre Eltern um das Herzogtum der Bretagne gekämpft hatten – und mit demselben geringen Erfolg. In seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit Karl von Durazzo und dessen Sohn war Ludwig II. nicht erfolgreicher als sein Vater. Während Neapel an das Haus Aragon ging und dann an die spanischen Bourbonen, bestanden die Angeviner zwei Jahrhunderte lang mit dem ganzen unverdrossenen Starrsinn einer königlichen Familie, der die rechtmäßige Krone versagt wurde, auf ihrem Anspruch.
Das andere französische Ziel in
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