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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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verschifft wurde und seine Armee auseinanderfiel, ließ Karl von Durazzo eine Messe für seinen toten Rivalen lesen und befahl seinem Hofe, Trauer zu tragen. [Ref 311]
    Von Anjous Tod wußte noch niemand am Arno, als ein schokkiertes Florenz die Nachricht von Coucys Eroberung der Stadt Arezzo empfing. Die Balia oder der Rat der Zehn, der für Krisenzeiten ernannt worden war, trat eilig zusammen. Briefe und Botschafter wurden nach Genua, Bologna, Padua, Perugia, Verona, Neapel und sogar Mailand entsandt. Alle wurden dringlich aufgerufen, sich mit Florenz in einer Liga gegen den Invasoren zu verbünden, dessen Armee, wie Florenz behauptete, eine Gefahr für ganz Italien war. Hawkwoods Kompanie wurde aus Neapel herbeigerufen
und Papst Urban VI. aufgefordert, einen besonderen Zehnten für den Feldzug, mit dem die »Schismatiker« aus Italien vertrieben werden sollten, zu erheben, um den Triumph des Gegenpapstes zu vereiteln. Mitten in die Aufregung platzte die Nachricht, daß der französische Prätendent auf den Thron von Neapel gestorben sei. Florenz jubelte und verdoppelte seine Anstrengungen, Coucy in Arezzo einzuschließen.
    Blind gegen den Sturm, der sich um ihn herum erhob, und ohne Nachricht vom Tod Anjous machte Coucy sich das Vergnügen, die Signoria von seiner Eroberung Arezzos wissen zu lassen, wobei er nicht zweifelte, wie er mit kalter Glätte schrieb, daß ein für die Parteigänger König Ludwigs so glückliches Ereignis auch sie entzükken würde. Mit noch größerem Vergnügen antwortete die Signoria dem »berühmten Herrn und lieben Freund«, informierte ihn mit »betroffenem Kummer«, daß Anjou gestorben sei und verschiedene seiner Begleiter auf dem Weg nach Hause schon in Venedig gesehen worden seien. Coucy glaubte den Florentinern natürlich nicht, sah in dem Brief nur den Versuch, ihn zu entmutigen.
    Um die Einwohner von Arezzo zu beeindrucken, hielt er in glänzendem Stil hof und versuchte, durch Gastfreiheit und Großzügigkeit Anhänger der angevinischen Sache zu gewinnen. Aber während er noch die Zitadelle belagerte, wurde ihm innerhalb kurzer Zeit klar, daß er selbst bereits eingekreist, wenn auch noch nicht wirklich belagert war, und zwar durch eine florentinische Streitmacht im Norden und seinen früheren Waffengefährten Sir John Hawkwood im Süden. An diesem Wendepunkt seines Unternehmens wurden ihm Beweise überbracht, daß Anjou tatsächlich gestorben war, und damit hatte sein ganzer Feldzug das Ziel verloren. [Ref 312]
    Coucy sah sich plötzlich isoliert mitten in Italien ohne Hoffnung auf Entsatz in einem sinnlos gewordenen Unternehmen. Sein Problem war einzig und allein noch, wie er sich aus der Umklammerung befreien sollte. Die angevinische Sache weiterzuverfechten und Arezzo zu halten, nur um Ludwig von Anjous letzten Willen zu erfüllen, wäre korrekt, aber selbstmörderisch gewesen. Botschaften von den verbliebenen Gefolgsleuten von Anjou hatten ihn erreicht, in denen er aufgefordert wurde, als Gouverneur das Königreich
Neapel zu besetzen, aber Coucy war nicht jener ritterliche Typ des heroischen Narren, der gedankenlos in eine Katastrophe marschierte oder diese mit hirnloser Tapferkeit akzeptierte, wenn sie kam. Er beabsichtigte, seine Herrschaft über Arezzo zu gebrauchen, um sich ohne Prestigeverlust der angevinischen Sache zu entziehen – und nebenbei die Kosten des Feldzugs wieder hereinzubringen.
    Siena, das es abgelehnt hatte, der florentinischen Liga beizutreten, wurde zu seinem Hebel. Er machte Siena das Angebot, Arezzo für 20 000 Florins zu kaufen, wohl wissend, daß die Rivalität zwischen den beiden Städten Florenz veranlassen würde, einen besseren Preis nebst freiem Geleit durch die Toskana zu bieten. Florenz war es nicht gelungen, andere Städte auf die Unterstützung einer Liga zu verpflichten, da jene fürchteten, Florenz werde die Liga nur zum Zwecke der eigenen Expansion nutzen. Bernabò hatte im Interesse seiner französischen Verbindungen dazu geraten, Arezzo durch Geld statt durch Gewaltanwendung zurückzugewinnen. Er warnte Florenz, daß der König von Frankreich und seine Onkel harte Maßnahmen gegen florentinische Bankiers und Kaufleute ergreifen könnten, wenn Coucy angegriffen würde.
    Florenz selbst wußte durchaus, daß ein stilles Geschäft häufig profitabler war als ein ruhmvoller Feldzug. Durch Coucy bestand plötzlich wieder die Aussicht, Arezzo für Florenz zu gewinnen. Carraciolo, dem Gouverneur der Stadt, der nach wie vor mit seinen

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