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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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einige für eine symbolische Zahlung, um die Fassade der Freundschaft zu erhalten und Coucys Reiter von kriegerischen Handlungen abzuhalten. Während Botschafter zu Unterhandlungen mit Coucy aufbrachen, ermahnte Florenz Jacopo Carraciolo, den Gouverneur von Arezzo, der jetzt in ihrem Sold stand, die Mauern zu verstärken, sich darauf vorzubereiten, florentinische Entsatztruppen zu verpflegen, wenn sie erscheinen sollten, und den Angriff Coucys am 18. September zu erwarten. Mit großzügigen Beiträgen des Großbürgertums begann Florenz, eine Streitmacht aufzustellen.
Eine Woche lang wartete Coucy ab, wie sich Florenz und Siena zu seinen Forderungen stellen würden, und marschierte nicht weiter. Siena zahlte ihm 7000 Florins; Florenz, ohne allerdings eine Ablehnung deutlich auszusprechen, zahlte nichts. Dann nahm Coucy, als sei er befriedigt, seinen Marsch wieder auf, aber er rückte nun nach Süden auf Cortona zu, marschierte nicht nach Arezzo. Dieser Umweg erwies sich als eine Finte, um Carraciolos Wachsamkeit zu vermindern. In der Nacht auf den 29. September kehrte Coucy wieder um und erschien in den Morgenstunden vor Arezzo, wo er seine Armee in zwei Gruppen aufteilte. Der einen befahl er, mit viel Geschrei und Lärm anzugreifen, während er die andere, stärkere Gruppe mit seinen besten Rittern insgeheim um die Stadt herumführte zum San-Clemente-Tor auf der anderen Seite. Dort brachen sie die Torflügel ein und strömten mit dem Schlachtruf: »Lang lebe König Ludwig und der Sire de Coucy! Tod den Guelfen und dem Herzog von Durazzo !« in die Stadt. Als Carraciolos Männer herbeieilten, um sie aufzuhalten, füllten der Lärm der Schlacht und die Kampfrufe die Gassen, Kämpfe tobten in der ganzen Stadt und um das alte römische Amphitheater herum, bis die Verteidiger der überlegenen Zahl der Angreifer weichen mußten und sich in die Zitadelle zurückzogen. Die Herren von Pietramala gewannen ihre Heimatstadt im Triumph zurück, und während Arezzo aufs neue in Verwüstung und Plünderung versank, nahm Coucy die Stadt im Namen König Ludwigs von Neapel, Sizilien und Jerusalem in Besitz.
    An diesem triumphalen Tag lag der Tod Ludwigs von Anjou bereits neun Tage zurück. Anderthalb Jahre lang war er im Absatz von Italien vor sich hingedämmert, ein König ohne Königreich, während seine Armee verkam und versickerte. Die seiner Ritter, die es sich leisten konnten, reisten mit dem Schiff nach Hause. Da er Bari und andere Küstenstädte an der Adria kontrollierte, könnte er von See her versorgt werden und mag nicht ganz so notleidend gewesen sein, wie es die geistlichen Chronisten darstellten, die es liebten, die Geschichte vom Sturz der Eitelkeit auszuschmücken. Aber er war, da er keine Geldmittel mehr hatte, praktisch immobilisiert. Seine verarmten Ritter saßen auf Eseln oder marschierten zu Fuß, um endlich »den Tag der Schlacht« zu erleben, konnten
aber wenig mehr als gelegentliche kleinere Gefechte finden. Im September 1384 zog Anjou sich eine schwere Erkältung zu, als er sich bei der Verfolgung von Plünderern aus seiner eigenen Armee überanstrengte. Er bekam Fieber und erkannte schnell, daß der Tod vor der Tür stand. Also setzte er wie sein Bruder Karl V. an seinem letzten Tag sein Testament auf. Die Sterbenden in jenen Tagen schienen immer zu wissen, wann ihnen die Stunde schlug, zweifellos weil sie von den Heilmitteln der Zeit wenig erwarteten und das Eintreten bestimmter Symptome als tödlich ansahen. Schwerer zu erklären ist, wieso sie an ihrem letzten Tag so oft in der Lage waren, ihren Letzten Willen zu diktieren. Möglicherweise, weil das Sterben ein so streng organisiertes Ritual war, bei dem viele Diener und Helfer assistierten.
    Mit unverminderter Eroberungslust rief der Herzog von Anjou Papst Klemens VII. in seinem Letzten Willen auf, zu garantieren, daß Anjous Sohn Ludwig II. Thronfolger des Königreichs Neapel würde, und an König Karl VI. appellierte er, »das Schwert seiner unvergleichlichen Macht« zu erheben, um Königin Johanna zu rächen. Er ernannte Coucy zu seinem Vizekönig und befahl ihm, den Feldzug fortzusetzen; Coucy, so besagte eine Klausel des Testaments, sollte nicht abgesetzt werden können außer durch die Entscheidung der Herzogin von Anjou, die vom König, Burgund und Berry zu bestätigen war. Ludwig von Anjou starb am 20. September in einem Zimmer des Schlosses von Bari, das auf das Meer hinausblickte. Während sein Leichnam in einem Bleisarg nach Frankreich

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