Der ferne Spiegel
Burgund. Stephans Zustimmung wurde durch ein Arrangement gewonnen, in dem Isabeau unter dem Vorwand einer Wallfahrt nach Frankreich reisen sollte, aber er warnte seinen Bruder Friedrich, der sie begleitete, daß er, brächte er sie zurück, »keinen bittereren Feind haben« werde als ihn, Stephan. [Ref 317]
Gerüchte der geplanten Heirat lösten in Mailand den sensationellsten Coup der Zeit aus – die Entmachtung und Verbannung Bernabòs durch seinen scheinbar so stillen und zurückgezogenen Neffen Gian Galeazzo. Schon seit einiger Zeit hatte Bernabòs Heiratsdiplomatie Gian Galeazzos Souveränität untergraben, denn es war Bernabòs Eigenart, als Aussteuer Visconti-Ländereien oder deren Einkünfte wegzugeben, Ländereien, auf die Gian Galeazzo gleichen Anspruch hatte wie Bernabò, der ihn nicht einmal konsultierte. Die Aussicht, daß eine Enkelin Bernabòs den Thron von Frankreich besteigen würde, dazu die Ansprüche von Bernabòs Tochter Lucia auf den Thron von Neapel bedrohten Gian Galeazzos französischen Rückhalt. Lucia kam ins Spiel, als die Herzogin von
Anjou, die nicht aufhörte, ihre französischen Verwandten zu einem erneuten Versuch, Neapel zu gewinnen, zu ermahnen, vom Hof eine vorläufige Zustimmung »zugunsten« des Unternehmens bekam und daraufhin Lucia aufforderte, eine Ferntrauung mit ihrem Sohn zu vollziehen. Diese Umstände trieben Gian Galeazzo zur Tat.
Im Mai 1385 sandte er seinem Onkel Bernabò einen Brief, in dem er eine Wallfahrt zur Madonna del Monte in der Nähe des Lago Maggiore ankündigte und ein Treffen mit ihm außerhalb von Mailand anregte. Sein Vorschlag schien nur natürlich, denn Gian Galeazzo war, obwohl er als »raffiniert und weise in den Dingen dieser Welt« galt, sehr fromm, trug immer einen Rosenkranz und wurde ständig von Mönchen begleitet. Eine Wallfahrt war für ihn nichts Ungewöhnliches. Er stützte sich auch auf Astrologen, um für seine Entscheidungen den günstigen Moment zu wählen, und weigerte sich einmal, ein diplomatisches Problem zu diskutieren, weil der Zeitpunkt wenig verheißungsvoll schien und er, wie er einem Briefpartner schrieb, »die Astrologie in allen meinen Staatsgeschäften beobachte«. Diese Neigung und seine scheinbare Furcht vor seinem Onkel veranlaßten Bernabò, ihn zu unterschätzen und zu verachten. Als ein Höfling, der Gian Galeazzo nicht traute, vor einer möglichen Verschwörung warnte, spottete Bernabò: »Du hast wenig Verstand. Ich sage dir, ich kenne meinen Neffen«. 76 Jahre alt, nach einem Lebensalter erfolgreicher Tyrannei, war er überheblich und unvorsichtig geworden. Eben darauf beruhte Gian Galeazzos Plan.
Ohne großen bewaffneten Schutz, begleitet nur von zweien seiner Söhne, ritt Bernabò zu dem Treffen vor den Toren. Gian Galeazzo traf mit einer umfangreichen Leibwache ein, stieg vom Pferd, umarmte seinen Onkel und gab, während er Bernabò fest umklammert hielt, ein deutsches Kommando, woraufhin einer seiner Generäle, der condortiere Jacopo del Verme, Bernabòs Schwertgürtel durchschnitt, ausrief: »Ihr seid gefangen«, und ihm das Zepter abnahm. Sofort darauf galoppierten Truppen Gian Galeazzos durch Mailand und besetzten alle strategischen Punkte. Aufgrund seiner vernünftigen Herrschaft in Pavia war die Bevölkerung nicht abgeneigt, ihn als Befreier willkommen zu heißen, und grüßte ihn mit
dem Ruf » Viva il Conte! «, dem sich als erster Gedanke nach der Beseitigung des Tyrannen sofort anschloß: »Herunter mit den Steuern!« Um den Übergang zu schmieren, erlaubte Gian Galeazzo dem Mob, Bernabòs Palast zu plündern und die Steuerregister zu verbrennen. Eine seiner ersten Maßnahmen war die Reduzierung der Steuern, was ihm leichtfiel, da er Bernabòs Goldschatz an sich gebracht hatte. Legitimation oder zumindest deren Anschein wurde durch eine Versammlung des Großen Rats nachgeliefert, die ihm auch formell die Herrschaft übertrug und eine juristische Aufzeichnung der Verbrechen Bernabòs an alle Staaten und Herrscher sandte.
Der mailändische Staat wurde nun von einem Alleinherrscher kontrolliert, dessen Bedeutung im Laufe der Zeit weiter anwachsen sollte. Bernabòs Söhne wurden neutralisiert, der eine durch lebenslange Gefängnishaft, der andere durch seine eigene Unfähigkeit und der dritte und jüngste durch eine großzügige Pension auf Lebenszeit. Die Städte der Lombardei unterwarfen sich ohne nennenswerte Unruhe, und der Tyrann selbst wurde in der Festung von Trezzo eingesperrt, wo er im
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