Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
Vom Netzwerk:
antwortete er mit Nachdruck: »Bei Gott, ja!« [Ref 319]
    Isabeau verstand nichts, da ihre Lehrer sie offensichtlich mit der französischen Sprache nicht behelligt hatten. Sie konnte nur einige wenige Worte in starkem deutschem Akzent sprechen. Ihr Auftreten aber war bezaubernd, und Karls Ungeduld nahm solche Formen an, daß die Heirat hastig auf den 17. Juli vorgezogen wurde, was viele Scherze über das temperamentvolle junge Paar auslöste. »Und wenn sie jene Nacht zusammen in großem Entzücken verbrachten«, schloß Froissart, »kann man das wohl glauben.« Wohl keine andere so ungeduldig geschlossene Ehe sollte jemals in einem traurigeren Ende versinken, in Wahnsinn, Ausschweifung und Haß.
    Nach Venus: Mars. Noch bevor die Waffenruhe mit England im Oktober auslaufen sollte, schickten die Schotten Gesandte, um die Franzosen aufzufordern, ihnen Truppen zu senden und »mit ihnen zusammen ein so großes Loch in England zu machen, daß es sich nie wieder erholen würde«. Der Stolz der Franzosen ging bereitwillig auf diese Möglichkeit ein, endlich einmal die Initiative gegen England zu ergreifen. Den Engländern sollte bewiesen werden, daß
sie nicht immer nur als die Aggressoren auftreten konnten, sondern daß »sie sich daran gewöhnen mußten, angegriffen zu werden« – auf eigenem Boden, wie Coucy schon Karl V. geraten hatte. Philipp der Kühne, der die Regierung in Frankreich mit fester Hand kontrollierte, beauftragte Admiral de Vienne, »einen Ritter von erprobter Tapferkeit und einer Leidenschaft für den Ruhm«, eine Expeditionsstreitmacht nach Schottland zu bringen und dort die Voraussetzungen für die Entsendung eines größeren Aufgebots zu schaffen. Dies sollte von Clisson, Sancerre und Coucy angeführt werden. Dann wollten sie mit den Schotten »kühn über die Grenze eindringen«.
    Mit achtzig Rittern und einer Truppe von im ganzen eintausendfünfhundert Mann, die sechs Monate im voraus bezahlt waren, schiffte Vienne sich im Frühsommer 1385 ein. Er führte ein »freies Geschenk« von 50000 Goldfranken für den König von Schottland mit sowie fünfzig Rüstungen mit Lanzen und Schilden für seine Edlen. Die schottischen Gesandten hatten die Franzosen gebeten, Ausrüstung für tausend Schotten mitzubringen, was den Franzosen eine Warnung hätte sein können. Die schottischen Zustände waren für Vienne eine unangenehme Überraschung. Die Burgen waren kahl und finster, primitiv ausgestattet, boten wenig Komfort in einem elenden Klima. Schlimmer noch waren die feuchten Steinhütten der Klanhäuptlinge, die weder Fenster noch Schornsteine besaßen und vom Rauch der Torffeuer erfüllt waren. Ihre Bewohner waren in langjährige Vendetten verstrickt, in deren Verlauf Vieh gestohlen, Frauen geraubt, betrogen und gemordet wurde. Sie hatten kein Eisen für die Hufe ihrer Pferde noch Leder für Sättel und Zaumzeug, da dieses vorher aus Flandern eingeführt worden war. [Ref 320]
    An »teppichgeschmückte Hallen, gute Burgen und weiche Betten gewöhnt«, fragten sich die Franzosen: »Warum sind wir hierhergekommen? Wir haben bis jetzt nicht gewußt, was Armut ist.« Ihre Gastgeber waren auch nicht begeistert von ihnen. Sie schätzten die an Luxus gewöhnten Franzosen nicht und hießen sie kalt willkommen. Statt mit fliegenden Bannern in die Schlacht zu ziehen, zogen sie ihre Truppen zurück, als sie erfuhren, daß eine große englische Armee im Anmarsch war.

    Durch einen neuen Aufstand in Flandern abgelenkt, kam die französische Verstärkung nicht. Während er zur Muße gezwungen war, verwandelte sich Viennes frustrierte Kriegslust in Liebe; er ließ sich auf eine sündige Leidenschaft mit einer Kusine des schottischen Königs ein, was seine Gastgeber so erzürnte, »daß der Admiral in Todesgefahr geriet«. Ob dieser Streit wirklich von Viennes Liebesaffäre herrührte oder sich nicht vielmehr um die Weigerung der Schotten drehte, den Aufenthalt der Franzosen zu bezahlen – auf jeden Fall nahm der Admiral die Kosten auf sich, heuerte eilig eine Anzahl von Schiffen an und verschwand.
    Inzwischen hatten Truppen aus Gent, die von Arteveldes Nachfolger Francis Ackerman angeführt wurden, Damme besetzt, den Hafen von Brügge an der Mündung der Schelde, von wo aus die französische Armee eigentlich nach Schottland auslaufen sollte. Der Angriff war von den Engländern angeregt worden, die voller Schrecken von Gerüchten über eine französische Invasion gehört hatten. Eine französische Armee, an deren Spitze

Weitere Kostenlose Bücher