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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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der König direkt aus dem Hochzeitsbett geeilt war, marschierte nach Norden, um Damme zu belagern, und eroberte es auch, nachdem die Soldaten sehr unter der Hitze, den englischen Bogenschützen und dem Ausbruch einer Epidemie zu leiden gehabt hatten.
    Die Strafe war erbarmungslos, vor allem durch die Burgunder, die bis an die Tore von Gent das Land verwüsteten, brannten und mordeten. Viele Gefangene, die zunächst Lösegeld einbringen sollten, wurden zur Abschreckung erschlagen. Einer von ihnen warnte noch auf dem Schafott seine Henker, daß »der König von Frankreich auch Männer mit furchtlosem Herzen töten kann, aber selbst wenn er alle Flamen ausrottete, würden sich noch ihre trockenen Gebeine erheben, um ihn zu bekämpfen«. Allmählich wurde dem Herzog von Burgund auch deutlich, daß es nicht in seinem Interesse sein konnte, den Haß seiner Untertanen auf sich zu ziehen. Ein Friedensvertrag ohne weitere Strafen und Bußen wurde im Dezember in Tournai unterzeichnet, und der Herzog bemühte sich nun, die Wirtschaft Flanderns wieder auf die Beine zu bringen. Aber der Schaden, den Jahrzehnte des Kampfes hinterlassen hatten, war nicht leicht zu beseitigen; das große Zeitalter der flämischen Wohlhabenheit war vorüber.

    Vielleicht inspiriert von all den Hochzeiten, an denen er zu dieser Zeit teilnahm, entschloß sich Coucy, ein Mädchen zu heiraten, das dreißig Jahre jünger war als er. Die Hochzeit fand im Februar 1386 statt, die Braut war Isabelle, Tochter des Herzogs von Lothringen, »eine sehr schöne Demoiselle aus der großen und edlen Dynastie derer von Blois«. Sie war sogar als Braut des Königs im Gespräch gewesen, als sich Stephan von Bayern so widerspenstig gezeigt hatte, und von ihr hieß es, sie sei »im Alter des Königs oder ihm sehr nahe«, was auf eine Sechzehn- bis Achtzehnjährige schließen läßt. Karl VI. hatte der Partie schon »fast zugestimmt«, als die bayrische Verbindung neu belebt wurde. [Ref 321]
    Von der zweiten Isabelle de Coucy ist wenig bekannt, außer daß Coucy nach der Hochzeit seine Burg völlig renovieren ließ, was möglicherweise (aber nicht unbedingt) darauf hindeutet, daß er es tat, um seine junge, schöne Frau zu erfreuen.
    Im Anschluß an die Hochzeit wurde ein neuer Nordwestflügel, der ebenso überdimensional angelegt war wie der Hauptturm, erbaut. Hinzu kamen viele häusliche Verbesserungen. Der neue Flügel besaß eine Banketthalle, die etwa 15 mal 70 Meter maß und Salle des Preux oder der Saal der Neun Großen genannt wurde nach den geschichtlichen Helden, die das Mittelalter am meisten bewunderte. Darunter waren drei Helden der Antike – Hektor von Troja, Alexander der Große und Julius Cäsar; drei biblische Juden – Josua, König David und Judas Makkabäus; drei Christen – König Artus, Karl der Große und der Kreuzfahrer Gottfried von Bouillon. Ein sich anschließender Saal war den weiblichen Größen gewidmet, Hippolyte, Semiramis, Penthesilea und anderen mythischen Königinnen. Jeder Saal hatte einen gewaltigen Kamin an der Stirnseite, eine hohe Bogendecke und weitgeschwungene Bogenfenster, die breite Streifen Sonnenlichts einfallen ließen, ganz anders als die schmalen Schlitze in den älteren Mauern. Eine erhöhte Tribüne, von der aus bedeutende Herren und Damen getrennt von der Menge die Tänze und Unterhaltungen ansehen konnten, war in den Salle des Preux hineingebaut. Hinter ihr stand die Reihe der Neun Großen im Halbrelief, »von Hand so fein geschlagen«, schrieb ein Bewunderer, »daß, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, ich nie glauben würde, daß Blätter und Früchte
und Trauben und andere delikate Dinge so vollkommen aus hartem Stein geformt werden könnten«.
    Unter anderen Neuerungen befand sich auch ein Kamin im Boudoir der Dame, das nun im Winkel zwischen dem neuen und dem alten Flügel lag; ein überdachter Tennisplatz mit einer geschnitzten Holzdecke; ein neuer Stall im unteren Hof; ein Wassertank zwei mal drei Meter groß und fünf Meter tief, der die Küchen durch vier große Leitungen mit Wasser versorgte. Neue hölzerne Decken wurden im Hauptturm eingezogen, die Dächer in der ganzen Burg neu gedeckt, die Siele und Gossen gesäubert und die Fenster im oberen Zimmer, »die der Affe der Dame de Coucy beschädigt hatte«, repariert.
    Handwerker aller Art wurden angestellt – ein Kutschenmacher, um die Kutsche, mit der die neue Dame de Coucy aus Lothringen gekommen war, zu verkleinern, denn sie war zu breit

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