Der ferne Spiegel
Dezember desselben Jahres starb, wahrscheinlich auf Befehl seines Neffen vergiftet. Bernabò wurde in allen Ehren in Mailand bestattet – wenn auch ohne sein Zepter –, und seine Reiterstatue, die er noch selbst entworfen hatte, wurde entsprechend seinen Plänen aufgestellt.
Der Sturz dieses modernen Tarquinius erstaunte die Welt, ein Echo findet sich in den Canterbury Tales , wo in der »Erzählung des Mönchs« gesagt wird, wie »Euer Brudersohn . . . Euch in seinem Kerker sterben ließ«. Nicht die geringste Folge dieser Ereignisse war es, daß sich in dem oberflächlichen, aber unversöhnlichen Gemüt Isabeaus von Bayern eine unerbittliche Rachsucht gegen Gian Galeazzo festsetzte, der den Großvater abgesetzt, wenn nicht sogar ermordet hatte, dem sie zweifellos nie begegnet war. Da der Usurpator zu einer der großen Gestalten Europas aufsteigen sollte und sie Königin von Frankreich wurde, waren die Folgen schwerwiegend und weitreichend.
Im Alter von siebzehn Jahren war Karl VI. ein lebhafter, unausgeglichener Jüngling, der in den Turnieren zu Ehren der Burgunder Doppelhochzeit neunmal in die Schranken ritt. Seine Kriegslust war durch seine Onkel ermutigt worden, die sich davon Nutzen versprachen. In körperlicher Hinsicht »schien die Natur ihn verschwenderisch ausgestattet zu haben«. Überdurchschnittlich groß, von kräftiger Statur, die blonden Haare lang bis auf die Schultern, war er offen, energisch, höflich, übertrieben großzügig und freigebig, aber ohne Stetigkeit und Ernst. Während einer Jagd wurde angeblich ein Hirsch erlegt, der ein goldenes Halsband mit der Inschrift – »in alten Lettern« – Caesar hoc mihi donavit trug. Als dem damals Dreizehnjährigen gesagt wurde, daß der Hirsch seit den Tagen Julius Cäsars oder »irgendeines anderen Kaisers« im Wald gewesen sein mußte, war der jugendliche König so begeistert, daß er befahl, in alles königliche Geschirr und andere Ausrüstungsstücke einen Hirsch mit einem Halsband in Form einer Krone eingravieren zu lassen. In amouröser Hinsicht war er nicht weniger leicht entflammbar – der Mönch von St. Denis spricht von ihm als einem Opfer »fleischlicher Gelüste« – und ebenso schnell wieder ernüchtert. Labilität lag dicht unter der äußeren Erscheinung von robuster Gesundheit. Seine Mutter, die Königin Johanna, war 1373 einer Phase des Irrsinns verfallen; Karl war ein Produkt generationenlanger Inzucht, alle seine Schwestern waren im Mädchenalter gestorben. [Ref 318]
Der Charme Isabeaus und die Freuden der Ehe wurden von seinen verschiedenen Tanten und Onkeln bei der glänzenden Doppelhochzeit der Burgunder in Cambrai im April 1385 gebührend hervorgehoben. Als ein Fürst von großen Prätentionen hatte Philipp von Burgund sein Möglichstes getan, um die Feier über alle zu erheben, die je zuvor begangen worden waren. Er lieh sich die Kronjuwelen von Karl VI. aus, schaffte Gobelins und Turnierpferde aus Paris heran, bestellte besondere Uniformen in rotem und grünem Samt – den teuersten Farben – für seine Diener, ließ alle Damen mit goldgewirkten Gewändern ausstatten und lieferte 1000 Turnierlanzen für die beteiligten Ritter. Päpstlicher Dispens – die Brautpaare waren jeweils eng verwandt – war gleich in doppelter Ausführung nötig, einer von jedem Papst, denn die Eheschließungen
überspannten das Schisma. Geschenke wurden die ganzen Feierlichkeiten hindurch fünf Tage lang verteilt, und ihr Wert betrug das Doppelte des Aufwands für die Gewänder. Die Kosten insgesamt beliefen sich auf 112 000 Pfund, was einem Viertel der Einkünfte des flämisch-burgundischen Staates in dieser Zeit tiefen gesellschaftlichen Haders und Mangels gleichkam.
Isabeau kam im Juli in Frankreich an, nachdem sie vier Wochen lang am Hofe ihrer Wittelsbacher Verwandten in Hainault geschult worden war. Französische Kleidung, Etikette und der französische Flirt waren Unterrichtsthemen. Sie traf ihren Bräutigam Karl in Amiens, wohin der französische Hof wegen des neuen flämischen Kriegs gezogen war. Der König kam in fieberhafter Aufregung am 13. Juli an, demselben Tag, an dem Coucy von Avignon her eintraf, »in großer Eile mit Nachrichten vom Papst« – worum es sich handelte, ist nicht überliefert. Schlaflos und erregt, fragte Karl immer wieder: »Wann werde ich sie sehen?« und verliebte sich, als es endlich soweit war, auf der Stelle in das deutsche Mädchen. Als er gefragt wurde, ob sie Königin von Frankreich werden sollte,
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