Der ferne Spiegel
wir jemals aufgeben würden«, sagten die Engländer, während die Franzosen darauf bestanden, daß Territorien, die es entschlossen abgelehnt hatten, eine Allianz mit England einzugehen, nicht mit Gewalt dazu gezwungen werden könnten. Angesichts dieser Sackgasse ließen beide Parteien in aller Stille ihre Hauptforderungen fallen und versuchten zunächst, die kleineren Streitfälle einen nach dem anderen zu klären.
Mürrisch und mißtrauisch wies Gloucester jeden Vorschlag zurück. Er beklagte sich darüber, daß die Franzosen eine doppeldeutige Sprache führten, die von »subtilen, verhüllten Worten von doppelter Bedeutung« erfüllt sei, die sie verdrehten und deuteten, um sich Vorteile zu verschaffen – Worte, die die Engländer nicht gebrauchten, »denn ihre Sprache und ihre Absichten sind klar«. Das Stereotyp des verschlagenen Franzosen und des plumpen Engländers war bereits in Kraft. Auf Gloucesters Betreiben forderten die Engländer, daß alle Vorschläge in schriftlicher Form vorgelegt werden sollten, damit sie den Wortlaut auf Doppeldeutigkeit und Unklarheit hin untersuchen konnten. Dann wollten sie ihre Schreiber zu den Franzosen schicken, um zu erkunden, wie die Franzosen das Geschriebene verstünden, und danach sollte der Text entweder verbessert oder umgeschrieben werden, ein Verfahren, das die Verhandlungen enorm verzögern mußte.
Hier lag ein wirklicher Grund für die Schwierigkeiten der Friedensfindung. Obwohl die englischen Lords Französisch sprachen, war es für sie eine erlernte, nicht die Muttersprache, und sie fühlten sich in ihrem Gebrauch nicht wirklich sicher. Ein so bedeutender Adliger wie der erste Herzog von Lancaster, der das Livre des sainctes médicines schrieb, sagte über sein Werk: »Wenn das Französisch nicht gut ist, bitte ich das zu entschuldigen, denn ich bin Engländer und nicht sehr erfahren im Französischen.« Gloucester benutzte das Sprachproblem, um eine Einigung zu verzögern, aber das Mißtrauen gegen die Franzosen war eine Tatsache. Seit den Manipulationen Karls V. in der Auslegung der Bestimmungen des Vertrags von Brétigny hatten sich die Engländer immer wieder im letzten Augenblick aus Furcht, betrogen zu werden, dem Friedensschluß entzogen.
Um Gloucester durch seine von Gott gegebene Mission und seine Redegewandtheit zu beeinflussen, wurde Robert der Einsiedler vom Herzog von Burgund herbeigerufen. In leidenschaftlichen Worten bat der heilige Mann den Herzog: »Um der Liebe zu Gott willen, stellt Euch nicht länger gegen den Frieden.« Während der Krieg zwischen Franzosen und Engländern die Christenheit zerriß, rückten Bajasid und die Türken vor. Die Pflicht der Christen sei es, flehte er, sich gegen den Ungläubigen zu vereinen.
»Ha, Robert«, antwortete Gloucester, »ich wünsche nicht, den Frieden zu verhindern, aber ihr Franzosen braucht so viele gefärbte Worte, die unser Verständnis überschreiten, daß ihr aus ihnen immer, wie ihr wollt, Krieg oder Frieden herauslesen könnt . . . immer verhüllt ihr alles, bis ihr euer Ziel erreicht habt.« Nichtsdestoweniger mußte Gloucesters Starrsinn sich den Wünschen des königlichen Neffen beugen, den er verachtete. Ohne eine Einigung, was Calais betraf, war ein langfristiger Frieden immer noch nicht greifbar, aber es gab einige Fortschritte, die den Abschluß eines Waffenstillstandes auf vier Jahre erlaubten. Im Laufe dieser Zeit sollten einige umstrittene Territorien der einen oder anderen Seite zugeschlagen werden, um so den Weg für eine endgültige Einigung zu bereiten.
Im Juni, während die letzten Bedingungen ausgehandelt wurden, ergriff der Wahnsinn den König aufs neue. Der ersten Attacke
war die Ungeduld in Amiens vorausgegangen, die zweite fiel mit den Friedensverhandlungen zusammen. Vielleicht waren die langen Verzögerungen der Gespräche ein auslösender Faktor. Dieser Anfall war schwerer als der erste, und die Umnachtung hielt acht Monate an. Den Rest seines Lebens, das erst 1422 endete, war Karl immer wieder zwischenzeitlich irrsinnig, die Rückfälle gerade häufig genug, um jede stabile Regierung unmöglich zu machen und den Machtkampf um einen halbleeren Thron zu verschärfen. In diesen dreißig Jahren nach dem ersten Anfall des Königs sollte der bösartige Konkurrenzkampf zwischen den Fraktionen von Orléans und Burgund und deren Nachfolgern die Engländer nach Frankreich zurückbringen und das Land auf jenen zerschlagenen und hilflosen Zustand zurückwerfen, in dem es sich
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