Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
Vom Netzwerk:
ihm ein Ende machen, rief er, »damit die Welt Friede finde«. Die französischen Bauern diskutierten über den Krieg, wenn man Deschamps’ Reporterfähigkeiten trauen will, während sie ernteten. »Er hat lange genug gedauert«, sagt ein gewisser Robin, »ich kenne niemanden, der ihn nicht fürchtet. Sicherlich ist das Ganze nicht eine Schalotte wert.« [Ref 395]
    »Nichtsdestoweniger«, antwortet Henri, der Bucklige, in trauriger Weisheit, »wird jeder wieder den Schild aufnehmen müssen, denn keinen Frieden wird es geben, bis wir Calais zurückgewinnen. « Das war in der Tat der kritische Punkt. So begierig sie selbst waren, den Kriegszustand zu beenden – die Herrscher Frankreichs waren nicht bereit, einen endgültigen Frieden zu schließen, der das Einfallstor von Calais in englischen Händen ließ.
    Für den Herzog von Burgund war Frieden eine Notwendigkeit, denn nur so konnte er den Handel zwischen Flandern und England wiederherstellen. Nur mit seinem Einverständnis konnte es geschehen, daß bei Hofe ein heiliger Mann, genannt Robert der Einsiedler, auftrat und verkündete, eine Stimme hätte aus einem schrecklichen Sturm auf See zu ihm gesprochen und ihm gesagt, er werde die Gefahr überstehen, auf daß er, an Land zurückgekehrt, zum König gehe und ihm rate, Frieden mit England zu schließen,
denn alle, die dagegen seien, würden teuer dafür zu bezahlen haben.
    Der wichtigste Fürsprecher des Friedens war der König von England. So autokratisch wie sein Vater, aber alles andere als ein Soldat – wollte Richard II. den Krieg beenden, um die Macht der Barone zugunsten einer absoluten Monarchie einzuschränken. Sein Wunsch fiel mit den Interessen des Herzogs von Lancaster zusammen, der, da er seine Töchter als Königinnen von Kastilien und Portugal auf ausländische Throne gebracht hatte, den Frieden brauchte, um ihre Interessen wahren zu können. »Soll doch mein Bruder Gloucester gegen den Sultan Bajasid Krieg führen, der die Christenheit an den Grenzen Ungarns bedroht«, sagte er; das war die richtige Aufgabe für jene, die sich nach Kampf sehnten. [Ref 396]
    Aufgrund der vereinten Anstrengungen von Lancaster und Burgund wurden die Verhandlungen im Mai 1393 in Leulinghen, einem vom Krieg verwüsteten Dorf am Ufer der Somme in der Nähe von Abbeville, wieder aufgenommen. Da es zu wenig Unterkünfte gab, wohnten die Delegierten – die Herzöge von Burgund und Berry für Frankreich, Lancaster, Gloucester und der Erzbischof von York für England – mit ihrem Gefolge in Zelten.
    König Karl VI. war auch anwesend, wenn er auch nicht in die Gespräche aktiv eingriff. Er wohnte in einer nahe gelegenen Benediktinerabtei mit einem schönen Garten am Ufer des Flusses. Im Geiste schon auf einer Kreuzfahrt, war der französische König ebenso wie der englische grundsätzlich bereit, einen Kampf zu beenden, der schon vor ihrer Geburt begonnen worden war. Die Verhandlungsparteien trafen sich in einer reetgedeckten Kapelle. An den Wänden hingen Gobelins, auf denen Schlachten des Altertums dargestellt waren. Als Lancaster bemerkte, daß die Delegierten nicht auf Kriegsszenen blicken sollten, wenn sie über den Frieden verhandelten, wurden die Wandteppiche schleunigst entfernt und durch andere mit Szenen der letzten Tage Christi ersetzt. Als die ältesten Onkel saßen Berry und Lancaster erhöht, neben ihnen Burgund und Gloucester, ihnen schloß sich die Wände entlang die Reihe von Grafen, Prälaten, Rittern, gelehrten Juristen und Schreibern an.
    Das Schisma wurde zu einem Thema der Verhandlungen, als
Papst Klemens den adligen spanischen Kardinal Pedro de Luna, ausgestattet mit reichlich Gold und prächtigen Geschenken, nach Leulinghen entsandte, um den Engländern die Legitimität des avignonesischen Papsttums nahezubringen. Zornig hielt Lancaster ihm entgegen: »Ihr seid es, die Kardinäle von Avignon, die das Schisma geboren haben, ihr seid es, die es aufrechterhalten, und ihr seid es, die es jeden Tag vertiefen. Wehe euch!« Burgund hielt sich aus dem Streit heraus. Er bot an, das Schisma zu übergehen, um die Unterhandlungen in Richtung auf einen Vertrag voranzubringen, und es der Universität zu überlassen, den Weg für die Wiedervereinigung der Kirche zu bereiten.
    Als die Sprache auf die französische Forderung kam, die Mauern von Calais zu schleifen, und auf die englische, die Bedingungen des Vertrags von Brétigny zu erfüllen, waren sich beide Seiten so fern wie je. Calais war »die letzte Stadt, die

Weitere Kostenlose Bücher