Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
Vom Netzwerk:
Italien. Seine Macht hatte bereits den ganzen Norden erfaßt, er hatte Verona, Padua, Mantua und Ferrara annektiert und streckte seine Fühler nach der Toskana und den päpstlichen Staaten aus. Er mag letztlich auf ein Königreich Lombardei gezielt haben, vielleicht sogar auf ein vereinigtes Italien, oder aber er spielte mit der Macht um der Macht willen. In der Politik des Schismas steuerte er einen windungsreichen Kurs zwischen der Loyalität seiner mailändischen Untertanen zu dem römischen Papst und seiner Partnerschaft mit Frankreich, das an Klemens gebunden war. Wie er letztlich vorhatte, diese Klippen zu umschiffen, war nicht klar. Er war es indessen gewesen, der die
Idee, Frankreich solle ein Königreich Adria in Italien begründen und seinen Schwiegersohn Ludwig von Orléans auf den Thron setzen, wiederbelebte. Dieser Plan – der nun Gegenstand von Coucys Mission war – war mit Energie und Raffinesse von Viscontis siebzigjährigem Botschafter in Paris, Niccolo Spinelli, einem der fähigsten Diplomaten der Zeit, betrieben worden. Die päpstlichen Staaten, argumentierte Spinelli, hätten dem Heiligen Stuhl nichts als Haß eingetragen. In den tausend Jahren, seit sie dem Papsttum übergeben worden waren, seien ihretwegen die gewalttätigsten Kriege geführt worden, und dennoch »besitzen die Priester sie nicht in Frieden und werden sie niemals besitzen können«. Es wäre viel besser, wenn sie der weltlichen Herrschaft ganz entsagten, »da sie nur eine Bürde nicht nur für sie selbst, sondern auch für alle Christen, besonders die Italiener, sind«. [Ref 401]
    Die Franzosen brauchten nicht lange überredet zu werden, diese Bürde aufzunehmen, aber sie wollten, daß Ludwig die Königswürde offiziell als Lehen des Papstes verliehen werden sollte, bevor sie sie auch real eroberten. Der Papst aber wollte die päpstlichen Staaten zuerst einmal in die Hand bekommen, bevor er sie wieder weggab. Coucy als der große Überreder und der Franzose, der sich im Labyrinth italienischer Politik am besten auskannte, erhielt die Aufgabe, Klemens zu überzeugen, daß er sich bereits vor der Expedition festlegen müsse. Coucy wurde auf seiner Mission begleitet von dem Bischof von Noyon, einem Mitglied des königlichen Rats, der für sein oratorisches Talent bekannt war, und vom Sekretär des Königs, der die Ergebnisse der Unterredung festhalten sollte. In »gewandter Rede« legten Coucy und der Bischof dem Papst dar, daß, abgesehen von einem Wunder, nur die Intervention Frankreichs das Schisma beenden konnte; allein konnte Klemens nichts tun. Durch die Belehnung Ludwigs mit dem Königreich Adria würde der Papst ein festes jährliches Einkommen durch das Patrimonium gewinnen, das niemals mehr seit dem Auszug des Papsttums nach Avignon unter päpstlicher Kontrolle gewesen sei. Der König von Frankreich, sagten die Gesandten, empfehle seinen Bruder als die Person, die am besten geeignet sei, die Eroberung zu unternehmen, da »er jung ist und hart arbeiten kann« und die Hilfe des Herrn von Mailand haben würde.

    Klemens sperrte sich mit der Begründung, er wolle nicht als der »Liquidator des päpstlichen Erbes« in die Geschichte eingehen. Das hatte ihn zehn Jahre zuvor wenig gestört, als er die Lehnsbulle dem Herzog von Anjou übergeben hatte, aber er war sich jetzt der französischen Fähigkeiten nicht mehr so sicher. Drei französische Kardinäle zog er zu Rate, darunter Jean de La Grange, den Kardinal von Amiens, jenen Mann, der einst Karl VI. so erschreckt hatte, weil der junge König ihn des Umgangs mit einem Dämonen verdächtigt hatte. Er verlangte einige klare Antworten: Wieviel Geld, wieviel Mann würde Frankreich für den Feldzug aufbieten, und wie lange würden sie in Italien bleiben? Er wollte, daß die Franzosen sich auf zweitausend Reisige festlegten, angeführt von namhaften Hauptleuten und Adligen, unterhalten durch jährliche Zahlungen von 600 000 Franken, dies drei Jahre lang. Die in Verlegenheit geratenen Gesandten konnten darauf wenig vorbringen; ihre Instruktionen von nicht weniger als siebzehn »items« hatten nichts über militärische Details enthalten. Der Kardinal La Grange schlug verbindlich vor, daß der Herzog von Orléans doch seinen Feldzug beginnen möge und jeweils mit dem belehnt würde, was er auf seinem Vormarsch erobere. Obwohl sie sechs Wochen in Avignon blieben, konnten Coucy und der Bischof nicht mehr als Klemens’ Versprechen erreichen, seine eigenen Gesandten zu weiteren

Weitere Kostenlose Bücher