Der ferne Spiegel
Unterredungen nach Paris zu entsenden.
In Frankreich schwächten das Fehlschlagen der Friedensverhandlungen und der neue Anfall des Königs – der den Machtkampf zwischen Burgund und Orléans intensivierte – die Entschlossenheit für den Weg der Tat. Die Franzosen waren nicht bereit, in Italien einzumarschieren, solange sie sich nicht mit England einig waren. Überdies warnten die Engländer, als sie von den französischen Plänen hörten, daß sie den Waffenstillstand brechen würden, wenn Frankreich gegen den römischen Papst die Waffen erhöbe. Voller Mißtrauen gegen Gloucesters Kriegspartei sandte die französische Regierung Herolde durch das Land, um die Verstärkung der Befestigungsanlagen und die Wiederherstellung der Stadtmauern zu befehlen. In einem neuen Anlauf, Bogenschützen auszubilden, wurde eine Verordnung erlassen, die Spiele verbot. Tennis, das die Gemeinen in Nachahmung des Adels übernommen hatten, und
soules , eine volkstümliche Form von Hockey, bei dem es selten ohne Knochenbrüche abging, sowie Würfel- und Kartenspiele wurden in der Hoffnung untersagt, dadurch die Ausübung von Bogen- und Armbrustschießen zu ermutigen. Dies war das gleiche, was Karl V. schon 1368 versucht hatte, und es zeigt, daß die Herrscher des Landes sich des Versagens der französischen Bogenschützen im Krieg klar bewußt waren.
Aber die Befähigung der Bogenschützen war nicht der kritische Punkt, vielmehr ließ die französische Schlachttaktik ihnen keinen Raum. Kampfverbände von Rittern und Bogenschützen gab es nicht; Armbrustkompanien wurden angeworben, aber kaum genutzt. Der Grund war eindeutig eine Mischung aus der Verachtung für die Gemeinen und der Furcht um die Vorrangstellung der Ritterschaft in der Schlacht. Zusätzlich trug die Angst vor Aufständen 1393 dazu bei, daß dem Erlaß nur ein kurzes Leben beschieden war. Nach einiger Zeit war die Ausübung des Bogen- und Armbrustschießens so populär geworden, daß der Adel eine Aufhebung des Spieleverbots forderte, da er fürchtete, daß das gemeine Volk eine zu wirkungsvolle Waffe gegen den Adelsstand gewinnen würde. So waren die Adligen in jener ironischen Konstellation gefangen, in der ein Eigeninteresse ein anderes ausschließt. [Ref 402]
Die Pläne um den Voie de Fait schlugen Wellen. Die Florentiner entsandten eine imponierende Mission von sechzehn Unterhändlern nach Paris, um einer französischen Allianz mit Gian Galeazzo entgegenzuwirken. Sie fanden einen Verbündeten in dem Herzog von Burgund, der, schon um seine flämischen Untertanen nicht zu beunruhigen, nie ein großer Parteigänger Klemens’ gewesen und sicherlich nicht bereit war, ihm zu Rom zu verhelfen, wenn das hieß, Ludwig von Orléans zum König von Adria sowie zum Regenten zu machen. Burgund seinerseits fand eine Verbündete – obwohl er sie verachtete – in Königin Isabeau, die auch mit dem Teufel zu Abend gegessen hätte, wenn es darum ging, Gian Galeazzo zu schaden.
In der Öffentlichkeit war der stärkste Einfluß gegen den Weg der Tat die Universität, das Bollwerk des intellektuellen, klerikalen Establishments. Die Klerikalen der Universität hatten sich mit dem
Babylon von Avignon nie anfreunden können. Die Folgen des Exils, die Simonie und Korruption, der wachsende Materialismus, der Prestigeverlust, der Protest der Gemeinden und das Entstehen neuer abweichender Bewegungen unter den Lollharden und Mystikern, das Erwachen des Nationalismus, der durch die französischen Versuche, das Papsttum zu dominieren, dort und in den rivalisierenden Staaten verschärft wurde, hatten die Kirche viel von ihrem Ansehen gekostet. Historisch betrachtet wurden der Zusammenbruch der alten Einheit des Glaubens und das Anwachsen des Nationalismus durch das Schisma zwar gefördert, aber nicht begründet. Auf dem Strom der Geschichte lag die Universalität schon zurück und das Zerbrechen der Einheit voraus, aber die Menschen sehen nur, was unmittelbar vor ihnen liegt, und was sie am Ende des 14. Jahrhunderts sahen, war das Unheil, das das Schisma für die Gesellschaft bedeutete, und die verzweifelte Notwendigkeit, die Kirche wiederzuvereinigen.
Die theologische Fakultät trat nun offen für den Weg der Abtretung ein in klarer Auflehnung gegen den Erlaß, der die Diskussion des Themas verbot. Gerson lieferte in der mündlichen Verteidigung seiner theologischen Dissertation von 1392 über »Geistliche Rechtsprechung« die doktrinäre Grundlage für die Abdankung beider Päpste.
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