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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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König wendend, zögerte er nicht, auf Karls persönliche Tragödie anzuspielen, indem er sagte, daß wenn Gott die Gebete zur Heilung des Königs erhört habe, dann deshalb, damit dieser das Volk und die Heilige Kirche dazu bringen möge, »dieses grauenvolle Schisma« und das Elend in seinem Gefolge auszulöschen. Im Namen der Universität ermahnte er Karl, auf der Stelle die Arbeit der Heilung aufzunehmen, wenn er nicht seinen Titel als Christlichster König verlieren wolle.
    Da er Lateinisch, die Sprache der Rhetorik, nicht beherrschte, hörte Karl höflich zu, ohne ein Wort zu verstehen. Danach wurde eine Übersetzung für den königlichen Rat, dessen Laienmitglieder offenbar auch kein Latein sprachen, in Auftrag gegeben. Clamanges’ leidenschaftlicher Aufruf wurde ignoriert. Regierungen stellen sich nicht gerne irgendwelchen Radikalkuren; es ist leichter, sich auf den herkömmlichen Bahnen der Politik zu bewegen, und die Politik, auf die sich der Hof zur Zeit konzentrierte, war der Versuch, Ludwig von Orléans in Italien zu etablieren. Der Universität wurde vom König – oder in seinem Namen – befohlen, sich weiterer Agitation zu enthalten. Ihre Antwort war, die Kurse in allen Fakultäten einzustellen, was einem Streik des Lehrpersonals gleichkam,
eine Methode, die schon 1392 einmal als Protest gegen eine Steuererhebung erfolgreich angewandt worden war, allerdings auf Kosten der Abreise vieler ausländischer Studenten.
    Auch ließ die Universität Clamanges’ Brief in Europa zirkulieren, nicht zuletzt in Avignon, wo er dem Papst bei einer Kardinalsversammlung übergeben wurde. Nachdem er einige Zeilen gelesen hatte, erstarrten Klemens’ Augen im Zorn, und er rief aus: »Dieser Brief verleumdet den Heiligen Stuhl! Er ist böse, er ist giftig!« Er nannte den Brief üble Nachrede, »die es nicht verdient, öffentlich oder privat gelesen zu werden«, und verließ den Saal in großer Wut, ohne mit jemandem zu sprechen. Die Kardinäle ließen den Brief in ganzer Länge vorlesen, berieten und beschlossen dann, daß jede Verzögerung in der Tat gefährlich wäre und daß der Papst die Vorschläge der Universität akzeptieren müsse. Als sie von Klemens später zusammengerufen wurden, rieten sie ihm, der Universität zu folgen, wenn er den Nutzen der Kirche in seinem Herzen trage. Seine Empörung über diese »verräterische Feigheit« war so groß, daß er innerhalb von drei Tagen, am 16. September, an einem Herzanfall oder, wie es seine Zeitgenossen ausdrückten, an »tiefem Kummer« starb. So endete Robert von Genf, der später einmal als der Gegenpapst in den Chroniken der Kirche geführt werden sollte. Die Nachricht von seinem Tode erreichte Paris sechs Tage später, am 22. September. Dies endlich war der Augenblick, die Kirche wiederzuvereinigen – schmerzlos, ohne Gewalt und ohne das Konzil – , wenn es gelang, die Wahl eines Nachfolgers für Klemens VII. zu verhindern. »Niemals wird eine solche Gelegenheit wiederkehren«, schrieb die Universität von Paris an die Kardinäle; »es ist, als stünde der Heilige Geist an der Tür und klopfe an.« Der königliche Rat schickte auf der Stelle eine Depesche an die Kardinäle in Avignon und ermahnte sie im Namen des Königs und »im Interesse der ganzen Christenheit«, ihr Konklave zu verschieben, bis sie einen »besonderen und feierlichen« Brief des Königs von Frankreich empfingen, der folgen sollte. [Ref 407]
    Angeführt von Marschall Boucicaut, galoppierten die königlichen Boten nach Avignon, sie legten die vierhundert Meilen in der Rekordzeit von vier Tagen zurück. Als sie ankamen, war das Konklave bereits einberufen. Die Kardinäle wollten die Einheit der Kirche
– aber nicht auf ihre Kosten. Sie waren von dem diplomatischen spanischen Kardinal de Luna überzeugt worden, daß ihre Stellung und Bedeutung direkt von ihrem Recht auf Wahl des Papstes abhing und daß sie sich dieses Recht nicht nehmen lassen dürften. Sie ahnten, was der Brief des Königs enthielt, und sie beschlossen, ihn nicht zu öffnen, bis die Wahl vollzogen war. Um sich aber gegen den Vorwurf zu schützen, das Schisma verewigt zu haben, einigten sie sich, einen Eid zu unterschreiben, der demjenigen unter ihnen, der gewählt würde, auferlegte zurückzutreten, wann immer eine Mehrheit der Kardinäle ihn dazu aufrief. Der Eid schrieb bindend vor, fleißig für die Einheit der Kirche zu arbeiten und »ohne Fälschung, Betrug oder jede Manipulation« alle möglichen Wege in dieser

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