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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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»Wenn es für das Allgemeinwohl nicht nützlich ist, eine Autorität zu erhalten, sollte sie aufgegeben werden«, argumentierte er und behauptete kühn, daß es eine Todsünde sei, in einem solchen Fall an der Autorität festzuhalten. Weiterhin mache sich jeder, der nicht aktiv an der Beendigung des Schismas mitwirkte, schuldig an seiner Verlängerung. Dies war eine deutliche Spitze gegen jene Geistlichen, die durchaus willens waren, mit zwei Päpsten zu leben, da dies die Zahl der Benefizien erhöhte. Gersons öffentliches Auftreten in Paris war ein Zeichen des wachsenden Drucks, weiter betont durch die Anwesenheit von Kanzler d’Ailly. Und es deutet auf die Protektion durch den Herzog von Burgund hin, ohne die Gerson es kaum wagen konnte, so offen zu sprechen. [Ref 403]
    Auf der anderen Seite kam in die Pläne für einen Feldzug nach Italien plötzlich neues Leben, als Ludwig von Orléans ein unerwartetes Angebot gemacht wurde. Man bat ihn, die Herrschaft über
Genua anzunehmen, wo innere Fehden jenes unheilvolle Maß erreicht hatten, das den Hilferuf an einen Fremden notwendig macht. Ob dies ein von Gian Galeazzo inspiriertes Komplott war, der Genua als Hafen für Mailand gewinnen wollte, ist unbekannt, aber er war deutlich dafür, wohl weil er glaubte, daß Genua ihm unter der Herrschaft seines Schwiegersohnes zur Verfügung stehen würde. Für Ludwig von Orléans war das Angebot ein außerordentlicher Glücksfall, ein Brückenkopf an der Sonne, viel leichter erreichbar als Anjous Anspruch auf Neapel, und ein großer Schritt auf dem Weg zum Königreich Adria.
    Seine erste Maßnahme war es, Coucy in Begleitung seines persönlichen Repräsentanten Jean de Trie, des Bischofs von Noyon und wie zuvor des Königs Sekretär wieder nach Avignon zu schikken. Sie sollten noch einmal auf der Belehnung mit Adria vor dessen Eroberung bestehen. Der Marsch auf Rom sollte um drei bis vier Jahre verschoben werden. Dieser Aufschub diente dazu, Ludwig die Zeit zu geben, Genua unter Kontrolle zu bringen. Wiederum bestanden die Kardinäle auf harten Bedingungen – Geld, Truppen, unterschriebene Verpflichtungen von König Karl und seinem Bruder sowie andere Forderungen, die so überdimensional waren, daß sie den Weg der Tat praktisch unmöglich machten. Es mag sein, daß Klemens nun endlich erkannt hatte, daß dieser Weg nie begehbar gewesen war. Nach vielen Verzögerungen und Entschuldigungen, die Coucy und seine Begleiter drei Monate in Avignon hielten, gelang es ihnen, das Belehnungsdokument zu bekommen, aber es sollte als Bulle erst bestätigt werden, wenn der König von Frankreich und sein Bruder den Bedingungen zugestimmt hatten. Die Gesandten verließen Avignon am 3. September 1394. Zwei Wochen später erwies sich ihr ganzes Bemühen als vergeblich, denn Klemens VII. war tot. [Ref 404]
    Das Schisma, das Klemens auf den Heiligen Stuhl gebracht hatte, brachte ihn indirekt – mit dem Beistand der Universität von Paris – auch um. Seit Januar – König Karl VI. war zu dieser Zeit im Vollbesitz seiner Sinne – suchte die Universität mit zunehmender Dringlichkeit um eine Audienz nach, um ihre Ansichten darlegen zu können. Bisher hatte der Herzog von Berry, Klemens’ engster Parteigänger, eine solche Anhörung verhindert, indem er auf die
Bitten der Universität mit wilden Vorwürfen und der Drohung reagierte, »die Verfechter dieser Angelegenheit zu Tode zu bringen und in den Fluß zu werfen«. Diese energische Parteilichkeit wurde von Klemens durch »reiche Geschenke« bestärkt, der den Kardinal de Luna nach Paris entsandt hatte, um jene finanziellen Überredungskünste ins Werk zu setzen, die Berry am besten verstand. Irgendwann aber muß der Herzog von Burgund seinen Bruder von den Vorteilen einer gegenteiligen Haltung überzeugt haben, denn Berry antwortete den Petenten der Universität in einer überraschenden Kehrtwendung plötzlich: »Wenn Ihr ein Mittel findet, das Schisma zu beenden, das dem Rat annehmbar ist, so werden wir es in der nämlichen Stunde übernehmen.«
    Der Gedanke eines Konzils, der die ersten Jahrzehnte des nächsten Jahrhunderts beherrschen sollte, war schon jetzt mächtig. Beide Päpste schraken natürlich davor zurück, denn ein Konzil mußte ihnen ein Stück Autorität nehmen. Die Theorie konziliarer Suprematie sagte aus, daß die höchste Autorität in der Kirche im Allgemeinen Konzil lag, von dem der Papst seine Macht ableitete. »Einige verstockte Menschen«, zürnte Klemens’ Rivale,

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