Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
Vom Netzwerk:
Herrschaft mit der Erdrosselung seines Bruders, eine übliche türkische Vorsichtsmaßnahme, und versuchte dann, den byzantinischen Thron zu erschüttern, indem er Johannes VII. half, seinen Großvater zu stürzen. Als Johannes seinerseits von seinem Onkel, Manuel II., vom Thron gestoßen wurde, belagerte oder blockierte Bajasid Konstantinopel sieben Jahre lang, während er gleichzeitig in Bulgarien vorrückte. [Ref 419]
    1393, nachdem sie Tirnowo, die Hauptstadt des ostbulgarischen Königreiches, besetzt hatten, eroberten Bajasids Truppen Nikopol, die stärkste bulgarische Festung an der Donau. Sie lag oberhalb der Stadt Nikopol direkt am Ufer des Flusses und beherrschte eine Furt der Donau, die auf der anderen Seite durch eine Festung der Walachen geschützt war. Zwei Nebenflüsse flossen am Fuß der Burg in die Donau, die so sowohl den Verkehr ins Innere des Landes als auch die Donau hinunter kontrollierte. An diesem strategischen Ort sollte es zum Zusammenstoß zwischen Europa und den Osmanen kommen.
    Nach dem Fall von Nikopol wurden die Hilferufe des Königs von Ungarn, Sigismund, an den Westen lauter. Sein Land war nun der letzte organisierte Staat, der in Osteuropa den Türken widerstand.
Wenn Ungarn auch die »Königin der umliegenden Länder« genannt wurde, war seine Widerstandskraft durch unaufhörliche Auseinandersetzungen mit Polen und Litauen im Norden stark eingeschränkt. Sigismund, der später Kaiser werden sollte, war zu dieser Zeit erst 28 Jahre alt und den Schwierigkeiten seiner Lage kaum gewachsen.
    Wenn auch dem türkischen Vorrücken gegenüber nicht gleichgültig, hatte der Westen, der nur wenig Interesse an Konstantinopel empfand, der Gefahr nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt, bis sie Ungarn erreichte. Die einzige bedeutende Persönlichkeit im Westen, die ständig versuchte, eine militärische Reaktion zu erzielen, die der Größe der Herausforderung entsprach, war Philippe de Mézières. Für ihn war der Kreuzzug ein moralischer Imperativ, der Stein der Weisen, der alle Übel der Gesellschaft kurieren konnte. Mézières’ beständige Propaganda hatte zweifellos Einfluß auf Karl VI. und andere in seiner Umgebung. Im Laufe der 1390er Jahre klangen die Berichte aus dem Osten immer alarmierender. Als die Friedensverhandlungen von 1393 wiederum keinen Vertrag mit England zustande brachten, drang Karl nichtsdestoweniger in Lancaster, doch eine gemeinsame Expedition gegen die Türken in Betracht zu ziehen, »um den Glauben zu verteidigen und Ungarn und dem Kaiser von Konstantinopel zu Hilfe zu kommen«. Aber solange es keinen langfristigen Frieden mit England gab, konnte Frankreich nichts tun, und erst als der Herzog von Burgund sich für das Unternehmen interessierte, geschah etwas. [Ref 420]
     
    Der Herzog von Burgund war immer noch die entscheidende Kraft in Frankreich. Schon bevor ihm die Macht durch den Wahnsinn des Königs zufiel, hatte er nach Möglichkeiten zu einer Kreuzfahrt gesucht – die vor allem die Krieger Frankreichs beschäftigen sollte – , wobei er zwischen Preußen und Ungarn schwankte. Das größte Problem war wie immer das Geld. 1394 forderte Burgund eine Hilfszahlung von 200 000 Pfund von Flandern, obwohl das Land durch den Bürgerkrieg verarmt war. Es gelang den Flamen, die Summe auf 130 000 Pfund herunterzuhandeln, immer noch genug, um die ersten Vorbereitungen einzuleiten, die allerdings mehr prächtiger Ausstattung als der Bewaffnung dienten. Im Januar
1395 ließ der Herzog von Burgund König Sigismund wissen, daß ein offizielles Hilfeersuchen an Frankreich günstig aufgenommen werden würde.
    Vier eindrucksvolle ungarische Ritter und ein Bischof kamen daraufhin im August nach Paris. Sie berichteten der Krone, daß Sultan Bajasid eine Armee von vierzigtausend Mann aufgestellt habe, um Ungarn das gleiche Schicksal zu bereiten wie Bulgarien. Mit der englischen Heirat im Rücken, antwortete König Karl VI., daß es ihm als »wichtigstem König der Christenheit« eine Pflicht sei, zu verhindern, daß die Christen in Osteuropa vom Sultan niedergetreten würden. Die Begeisterung war allgemein. Als Coucy zwei Monate nach dem Besuch der Ungarn aus Italien heimkehrte, fand er den Hof in großer Aufregung über die Kreuzfahrt und verlor selbst keine Zeit, das Kreuz zu nehmen. Burgund, Orléans und Lancaster dagegen hatten sich alle von dem Unternehmen zurückgezogen, entweder weil sie an den Verhandlungen zwischen ihren Ländern teilnehmen mußten oder weil sie es vorzogen,

Weitere Kostenlose Bücher