Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
Vom Netzwerk:
Gefolge zählte, denn er war bereits mit den wichtigsten
Adligen und Rittern des Reiches zum letzten bedeutenden Kreuzzug des Mittelalters aufgebrochen.
    Die Könige waren versöhnt, aber all die alten Streitfälle – umstrittene Grenzen und Territorien, Lehnspflichten und Reparationen, Aquitanien und Calais – blieben ungelöst, Gloucesters Groll unbeschwichtigt. Die Franzosen mußten feststellen, daß alle Ehren, Unterhaltungen und Geschenke, mit denen sie ihn überhäuften, um seine Feindseligkeit zu überwinden, nichts ausrichten konnten. Er nahm die Geschenke und blieb kalt, hart und unzugänglich. »Wir verschwenden viel Mühe an diesen Herzog von Gloucester«, sagte Burgund zu seinem Rat, »denn solange er lebt, wird es sicherlich keinen Frieden geben zwischen Frankreich und England. Er wird immer neue Erfindungen und Vorfälle aufbringen, um Haß und Fehde zwischen den Reichen zu wecken.« Aber Gloucester brauchte es nicht, die Feindseligkeiten am Leben zu halten. Er sollte noch innerhalb eines Jahres sterben. Burgund war durch seinen brudermörderischen Streit mit Orléans, der durch seinen Sohn fortgesetzt wurde, dafür ebenso verantwortlich wie Gloucesters Nachfolger. Und der endlose Krieg hatte zu tiefe Wunden geschlagen, als daß eine so schnelle Heilung zu erwarten gewesen wäre. In England waren nur Richard II. und Lancaster echte Fürsprecher einer frankreichfreundlichen Politik, und beide starben schon drei Jahre nach der französischen Heirat. Die Feindseligkeit gegen Frankreich war hartnäckig. Nicht ganz zwanzig Jahre nach der Versöhnung sollte Heinrich V. seinem Gefolge zurufen: »Einmal mehr in den Streit!«

KAPITEL 26
Nikopol
    S eit fünfzig Jahren schon hatten die Europäer mehr oder minder aufmerksam den fernen Lärm des türkischen Vormarsches im Osten gehört. Die osmanischen Türken waren die letzte und die dauerhafteste Welle kriegerischer Nomaden, die aus den asiatischen Steppen hervorbrachen, um Kleinasien zu überschwemmen wie einst die Goten und Hunnen das Römische Reich. Ursprünglich hatten sich die Osmanen an den Küsten des Schwarzen Meeres in Anatolien als Vasallen der Seldschuken und Wächter der seldschukischen Grenze niedergelassen. Als das Reich der Seldschuken unter den mongolischen Invasionen des Dschingis-Khan und seiner Nachfolger zerbrach, erklärten die disziplinierten, kampfgewohnten Völker des Grenzhäuptlings Osman (daher der Name Osmanen) 1300 ihre Unabhängigkeit und bauten auf den Ruinen ihrer Vorgänger ein neues Reich auf. Mit der ganzen brutalen Energie eines aufsteigenden Volkes eroberten sie innerhalb von fünfundzwanzig Jahren die wichtigsten Städte Anatoliens und die Küsten der schmalen blauen Wasserader, die Asien von Europa trennt.
    Auf der anderen Seite der Ader lag Konstantinopel, die Hauptstadt dessen, was vom Byzantinischen Reich geblieben war. Dieses östliche Überbleibsel des Römischen Reiches zerbröckelte nun – achthundert Jahre, nachdem Rom früheren Barbaren zum Opfer gefallen war. Auf Europa beschränkt, war es ein geschrumpfter Rest alter Größe, hatte seine kommerzielle und maritime Vormacht an Genua und Venedig verloren, und sein Staatsgebäude wankte unter denselben Stößen, denen auch der europäische Westen ausgesetzt war: die feudalen Dienstverhältnisse nur mangelhaft
ersetzt durch eine Geldwirtschaft, der Schwarze Tod, ökonomische Zusammenbrüche, religiöse Abweichungen, Arbeiteraufstände und einander bekämpfende Völkergruppen. Serben und Bulgaren, die ihre eigenen Reiche entwickelt hatten, setzten Byzanz vom Westen her zu, und eine ganze Reihe kleinerer Mächte störte seine Handelsflotte in der Ägäis. Seine Provinzen waren desorganisiert, seine Streitmacht bestand fast ganz aus Söldnern, sein Herrscherhaus war von wilden Fehden zerrissen. Diese Machtkämpfe um den Thron öffneten den osmanischen Türken den Weg nach Europa.
    Die Fehden hatten ihren Ursprung in den Ansprüchen des Johannes Kantakuzenos, der als oberster Minister den Titel »Großer Haushofmeister« trug und als Regent für Johannes V. Palaiologos diente, den Thronerben im Kindesalter. 1341 erklärte Kantakuzenos sich als Johannes VI. zum Mitkaiser – in Wirklichkeit zum rivalisierenden Kaiser. In dem daraufhin ausbrechenden Bürgerkrieg bediente er sich kampftüchtiger, disziplinierter osmanischer Truppen. Als der Sultan Orchan auf Kantakuzenos’ Einladung 1345 mit seinen Streitkräften den Hellespont überquerte, war dies, wie Gibbon schrieb,

Weitere Kostenlose Bücher