Der ferne Spiegel
in der Nähe des Throns zu bleiben. Aber der älteste Sohn des Herzogs von Burgund, Jean de Nevers, [Ref 421] erst vierundzwanzig und noch nicht zum Ritter geschlagen, wollte mitziehen, und sein Vater schlug vor, ihm nominell das Kommando zu übertragen. Um seinem Sohn einen verantwortungsvollen Führer an die Seite zu stellen, wandte er sich an Coucy, der als der erfahrenste Krieger Frankreichs galt.
Der Herzog und die Herzogin von Burgund baten ihn zu sich und sagten: »Herr, wir wissen wohl, daß Ihr vor allen anderen Rittern Frankreichs der erfahrenste und in allen Dingen bewandertste seid, weshalb wir Euch von Herzen bitten, unseren Sohn auf dieser Reise zu begleiten und sein Hauptberater zu sein.«
»Monseigneur und Ihr, Madame«, antwortete Coucy, »ich will gehen, zuerst um den Glauben Jesu Christi zu verteidigen; zweitens, weil Ihr mir die Ehre erweist, mir Euren Sohn Monseigneur Jean anzuvertrauen. Ich werde mich dieser Aufgabe nach besten Kräften entledigen.« Aber, fügte er hinzu, er würde es vorziehen, dieser Aufgabe enthoben zu sein und sie dem Grafen d’Eu und dem Grafen Jacques de la Marche zu überlassen, die beide mit Nevers blutsverwandt waren.
»Sire de Coucy«, antwortete der Herzog, »Ihr habt weit mehr
als diese beiden gesehen und wißt besser eine Armee in fremdem Land zu befehlen als entweder Euer Vetter d’ Eu oder de la Marche, deshalb wollen wir Euch beauftragen und bitten Euch, diesen Willen zu vollziehen.« Coucy verbeugte sich und sagte: »Euer Bitten ist mein Befehl«, und erklärte sich bereit, die Aufgabe anzunehmen, wenn er die Hilfe von Guy und Guillaume de Tremoille sowie des Admirals de Vienne bekäme. In böser Vorahnung hatte er wenig Vertrauen zu den jüngeren Männern.
Da das Problem des Kommandos sich in dem Unternehmen als entscheidend erweisen sollte, ist der Versuch des Herzogs von Burgund, einen »Hauptberater« zu ernennen, bedeutend, ob nun Froissarts Wiedergabe des Gesprächs authentisch ist oder nicht. Geschichtsschreibung in direkter Rede war eine Freiheit, die sich die mittelalterlichen Chronisten zubilligten. Die Unterhaltung ist angezweifelt worden, da Coucys Name nicht als »Hauptberater« in den Listen Nevers’ auftaucht – er erscheint überhaupt nicht. Dies mag eine Auseinandersetzung zwischen Nevers und seinem Vater andeuten; vor allem aber verweist es – was wichtiger ist – auf das Fehlen eines Konzeptes von der Notwendigkeit einheitlicher Führung. [Ref 422]
Da sie durch den Frieden mit England beschäftigungslos geworden waren, eilten die Ritter freudig unter das Kreuz. Die Vorbereitungen waren beherrscht von einem Wettstreit in der Prachtentfaltung. Coucys Ausgaben wurden teilweise durch Ludwig von Orléans gedeckt, der ihm die restlichen 6000 Pfund für den Genuafeldzug auszahlte. Er stattete auch siebzehn Ritter seines Haushalts aus, die unter Coucys Banner reiten sollten.
Unter den ausländischen Verbündeten ragten die Ritter von Rhodos hervor, die nach dem Niedergang von Konstantinopel und Zypern die dominierende christliche Macht in der Levante waren; die Venezianer stellten eine Flotte; deutsche Fürsten aus dem Rheinland, aus Bayern und Sachsen, die von den Ungarn im Reich angeworben waren, stießen unterwegs zu der französischen Streitmacht von etwa zweitausend Rittern und Knappen sowie sechstausend Bogenschützen und Fußsoldaten. Abenteurer aus Navarra und Spanien, aus Böhmen und Polen stießen einzeln zur Truppe. Auffallend ist das völlige Fehlen von Engländern in den Listen. Es
ist möglich, daß die Fehde zwischen König Richard II. und Gloucester sich so ausgeweitet hatte, daß jeder der beiden seine Parteigänger im Lande hielt, aber es kann auch sein, daß die Engländer nach dem langen Krieg an der Idee, unter französischem Kommando zu dienen, keinen Gefallen fanden.
Der Aufbruch von Dijon am 30. April 1396 war ein großes Spektakel, das seine Wirkung auf die Gemüter der Beobachter nicht verfehlte. Die Kreuzfahrer nahmen die Route über Straßburg durch Bayern an die obere Donau und nutzten von dort den Wasserweg nach Buda (Budapest), wo der ungarische König sie erwartete. Die vereinigten Armeen sollten von dort aus gegen die Türken marschieren. Die Ziele waren vage, aber alles andere als bescheiden. Nachdem sie die Türken vom Balkan vertrieben hätten, wollten die Kreuzritter Konstantinopel entsetzen, den Hellespont überqueren, durch die Türkei und Syrien marschieren, um Palästina und das Heilige Grab zu
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