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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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unterstützt, aber seine Worte erregten die Eifersucht des Grafen d’Eu, der meinte, als Constable den Vortritt vor Coucy beanspruchen zu müssen.
    Sigismund war gezwungen, nachzugeben. Die vereinigten Armeen zogen am linken Ufer der Donau hinunter, ein Teil der ungarischen Armee schwenkte nach Norden aus, um die widerwilligen Streitkräfte der ungarischen Vasallen in der Walachei und in Transsilvanien mitzuziehen. Die Disziplinlosigkeit und die Ausschweifungen der Franzosen wuchsen den Berichterstattern zufolge an, je weiter der Marsch fortschritt. Ihre Frivolität und Arroganz stießen ihre Verbündeten ab, verursachten ständige innere Konflikte. Die Geistlichen der Armee mahnten vergeblich zu mehr Würde unter dem Kreuz. »Sie hätten ebensowohl«, schrieb der Mönch von St. Denis, »einem tauben Esel predigen können.«
    Bei Orschowa, wo sich die Donau im sogenannten »Eisernen Tor« verengt, setzte die Expedition auf das rechte Donauufer über. Das Manöver dauerte eine Woche, woraus Schlüsse auf die Stärke der Armee zu ziehen sind. Weit entfernt von den »vierhunderttausend« der Chronisten schätzte ein Teilnehmer des Feldzugs, der junge Deutsche Hans Schiltberger, Diener – oder, wie er sich selbst bezeichnete, »Läufer« – eines bayrischen Adligen, die Kopfzahl der christlichen Truppen auf sechzehntausend. Nach dreißig Jahren in der Fremde kehrte Schiltberger schließlich in seine Heimat zurück und schrieb oder diktierte seine einfachen, ungeschmückten Erinnerungen
aus dem Gedächtnis. Deutsche Historiker des 19. Jahrhunderts setzten die Zahl der Kreuzfahrer noch niedriger an, bei etwa siebentausendfünfhundert bis neuntausend, die zwischen zwölf- und zwanzigtausend Türken gegenüberstanden.
    Widin, die westbulgarische Hauptstadt, die unter türkischer Hoheit stand, war die erste Eroberung der Kreuzfahrer. Der Fürst von Widin zeigte wenig Lust, gegen das überlegene Heer zu kämpfen, und kapitulierte, was die Ritter um den ersehnten Schlagabtausch brachte. Trotzdem wurden Nevers und dreihundert seiner Begleiter hier zu Rittern geschlagen. Das nächste Ziel, 75 Meilen weiter, war Rachowo (Orjechowo), eine starke Festung, die durch einen doppelten Mauerring geschützt war. Streitlustig eilten die Franzosen bei Nacht ihren Verbündeten voraus und kamen im Morgengrauen gerade in dem Augenblick vor Rachowo an, als die türkischen Verteidiger herauskamen, um die Brücke über den Festungsgraben zu zerstören. In einem wilden Handgemenge gelang es fünfhundert Reisigen unter Coucy, d’Eu, Boucicaut, de la Marche und Philippe von Bar, die Brücke zu erobern, aber gegen starken Widerstand kamen sie nicht weiter voran, bis Sigismund mit Verstärkung eintraf. Am nächsten Morgen, noch bevor der Kampf wiederaufgenommen werden konnte, ergaben sich die bulgarischen Einwohner der Stadt Sigismund unter der Bedingung, daß ihr Besitz und ihr Leben geschont würden. Ohne Rücksicht auf dieses Abkommen richteten die Franzosen in der Stadt ein Massaker an und plünderten die Häuser. Die Ungarn betrachteten dies als Beleidigung ihres Königs; die Franzosen klagten, die Ungarn wollten sie um den Ruhm des Feldzugs betrügen; Sigismunds Vorahnungen bestätigten sich.
    Die beiden Armeen hinterließen eine Garnison in Rachowo und marschierten dann getrennt auf Nikopol. Wo war Bajasid? Diese Frage ist endlos diskutiert worden. War er noch in Asien oder schon auf dem Marsch? Er sollte Nikopol mit einem starken Heer drei Wochen nach dem Fall von Rachowo erreichen, eine zu kurze Zeit – auch für einen Feldherrn, der für seine Eilmärsche berühmt war –, um eine Armee aufzustellen und sie über den Bosporus überzusetzen. Wahrscheinlich war Bajasid bei den Truppen, die Konstantinopel belagerten, als er von der Kreuzfahrt hörte – wenn
er nicht bereits durch Gian Galeazzo informiert war –, die Belagerung abbrach und mit den Kräften, die ihm zu Gebote standen, nach Nikopol eilte.
    Die Kreuzfahrer waren sich der strategischen Wichtigkeit von Nikopol bewußt, es war ihr logisches nächstes Ziel. Am 12. September sichteten sie die Burg hoch oben auf ihrem Kreidefelsen. Wie die Burg von Coucy war Nikopol von allen natürlichen Voraussetzungen her eine beherrschende, fast uneinnehmbare strategische Festung. Den Franzosen muß sofort klargeworden sein, daß sie hier einer ebenso mächtigen Anlage gegenüberstanden wie vor Mahdia, selbst wenn sie nicht wissen konnten, daß Nikopol mit Waffen und Gerät wohlausgestattet

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