Der ferne Spiegel
der aus der Lust am Kampf geboren war, in geregeltere Bahnen gelenkt. Es entwickelten sich hauptsächlich zwei Formen des Turnierkampfes, zum einen der Zweikampf und zum anderen das Handgemenge zwischen zwei Gruppen mit bis zu vierzig Teilnehmern auf jeder Seite, entweder à plaisance mit stumpfen Waffen oder à outrance ohne Einschränkungen, wobei die Teilnehmer schwer verletzt und häufig sogar getötet werden konnten. Die Turniere verbreiteten sich, als die wichtigste Beschäftigung des Adligen seltener wurde. Unter der erweiterten Herrschaft des Königshauses sah sich die Ritterschaft in immer geringerem Maße vor die Notwendigkeit gestellt, ihr Land zu verteidigen. Zusätzlich nahm eine Klasse berufsmäßiger Minister und Ratgeber ihren Platz bei Hofe
ein. Je weniger der Ritter zu tun hatte, desto mehr Energie verwandte er auf die Turnierspiele, bei denen seine alte Rolle künstlich wiederbelebt wurde.
Ein solches Turnier dauerte vielleicht eine Woche und bei großen Anlässen zwei. Der Eröffnungstag wurde damit verbracht, die Teilnehmer einzuschätzen und zu setzen; danach folgten Tage, die den Zweikämpfen und den Handgemengen vorbehalten waren, und schließlich, nach einem Ruhetag, fand das große Finale statt. Alle Tage gab es große Gastmähler und Feste. Die Turniere waren die größten sportlichen Ereignisse der damaligen Zeit und zogen große Mengen bürgerlicher Zuschauer an, vom reichen Kaufmann über einfache Handwerker bis zu Händlern und Imbißverkäufern, Prostituierten und Taschendieben. Gewöhnlich nahmen an solchen Anlässen bis zu hundert Ritter teil, jeder begleitet von zwei berittenen Knappen, einem Waffenschmied und sechs livrierten Dienern. [Ref 57]
Der Ritter hatte sich selbstverständlich selbst mit der bemalten oder gar vergoldeten Rüstung und dem Helm mit wehendem Helmbusch auszustatten, was zwischen 25 und 50 Pfund kostete, und mit einem Schlachtroß im Wert von 25 bis 100 Pfund, dazu kamen ein Reitpferd, Banner und schöne Kleidung. Konnten diese Ausgaben einen Ritter schnell bankrott machen, so bestand auch die Möglichkeit, daß er sich bereicherte, denn der Verlierer eines Zweikampfs mußte ein Lösegeld zahlen und verlor Pferd und Rüstung an den Sieger, der ihm dies alles zurückverkaufen konnte. Zwar wurde Gewinnsucht nicht als ritterliche Tugend angesehen, aber sie war Teil dieser Turniere.
Wegen ihrer Extravaganzen und Gewalttätigkeiten wurden die Turniere von Päpsten und Königen fortwährend verurteilt, weil sie selbst durch sie finanzielle Einbußen erlitten. Vergeblich. Als die Dominikaner sie als heidnische Zirkusspiele verurteilten, hörte niemand zu. Als der gefürchtete heilige Bernhard donnerte, daß jeder, der in einem Turnier getötet würde, zur Hölle fahre, predigte er dies eine Mal tauben Ohren. Der Turniertod wurde von der Kirche offiziell als Selbstmord angesehen, was einer Todsünde gleichkam und zusätzlich die grundlose Gefährdung von Familie und Gefolge bedeutete; aber auch Exkommunikationsdrohungen blieben
wirkungslos. Obwohl Ludwig der Heilige die Turniere verdammte und Philipp der Schöne sie verbot, konnte ihnen auf Dauer nichts Einhalt gebieten oder ihre Anziehungskraft vermindern.
Kostbar gekleidete Zuschauer saßen auf der Tribüne, Fahnen und Bänder flatterten im Wind, die Kämpfer paradierten bei Trompetenschall und ließen ihre mit goldenem Zaumzeug geschmückten Pferde tänzeln und schnauben. Der Glanz der Rüstungen und der Schilde, die Gunstbezeigungen der Damen für ihre Favoriten, die Verbeugungen der Wappenherolde vor dem Fürsten, der die Regeln verlas, und das Geschrei des Gefolges, das seinen Herrn feierte, waren die Erfüllung des Adelsstolzes, sein Entzücken an seiner eigenen Großartigkeit. [Ref 58]
Waren die Turniere die Theaterbühne des Ritterstandes, so war die hohe Minne sein Traumland. Die hohe Minne galt als Liebe um ihrer selbst willen. Sie war eine romantische Liebe, eine wahre Liebe, eine körperliche Liebe ohne Bezug auf Besitz oder Familie und zielte daher immer auf die Frau eines anderen Mannes, da nur eine solche unerlaubte Verbindung keinen anderen Inhalt als die Liebe selbst haben konnte. (Liebesbeziehungen zu Jungfrauen waren praktisch unmöglich, da dies gefährliche Probleme aufgeworfen hätte – und außerdem sprangen die Jungfrauen von Geblüt gewöhnlich aus der Kindheit direkt in die Ehe, so daß kaum Zeit für Liebesabenteuer blieb!) Die Tatsache, daß die hohe Minne die verbotene Liebe
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