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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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haben«. Manche Edeldame fiel den »faulen und großen falschen Eiden, die Männer Frauen schwören«, zum Opfer. La Tour Landry berichtet, daß drei Damen, die ihre Ansichten über ihre Liebhaber austauschten, entdeckten, daß Jean le Maingre der Favorit aller drei war, mit jeder geschlafen und jeder geschworen hatte, daß er nur sie liebte. Als sie ihn zur Rede stellten, war er um eine Ausrede nicht verlegen, »denn zu der Zeit, als ich mit jeder von euch sprach, liebte ich nur die, zu der ich sprach, und meinte es wahrhaftig so«.
    La Tour Landry selbst, ein in vielen Feldzügen erprobter Ritter, erwies sich als sehr häuslicher Mann, der am liebsten in seinem Garten saß und im April dem Gesang der Drossel lauschte und in seinen Büchern las. Ganz im Gegensatz zur ritterlichen Minneauffassung liebte er seine Frau, »die Blume alles Schönen und Guten«. »Ich erfreute mich so sehr an ihr, daß ich, so gut ich konnte, Liebeslieder,
Balladen, Rondeaus und diverse neue Dinge für sie schrieb.« Er hält nicht viel vom Lieblingsthema des Rittertums, daß die hohe Minne den Ritter zu größerer Tapferkeit inspirierte, denn obwohl sie sagen, sie tun es für die Damen, »denken sie in Wahrheit nur an sich und ihre Ehre«. Auch die Liebe um der Liebe willen, par amours , billigt er nicht, da sie die Ursache vieler Verbrechen ist. Als Beispiel zitiert er den Châtelain de Coucy .
    Ein aufsehenerregender Skandal der Zeit, die Vergewaltigung der Gräfin von Salisbury durch Eduard III., macht deutlich, daß die hohe Minne das am wenigsten verwirklichte Ideal des Rittertums war. Froissart, der an den Ritterstand glaubte wie Ludwig der Heilige an die Heilige Dreifaltigkeit, säuberte die Geschichte angeblich nach sehr sorgfältigen Untersuchungen, in Wirklichkeit wohl eher aus Respekt vor seiner geliebten ersten Patronin, Philippa von Hainault, Eduards Königin. Er berichtet lediglich, daß der König »von einem Liebesfunken im Herz« getroffen wurde, als er nach einer Schlacht in Schottland 1342 das Schloß von Salisbury besuchte und die schöne Gräfin sah. Als sie ihn abwies, begründete Eduard vor sich selbst, warum er seine sündige Leidenschaft nicht aufgeben konnte. Seine Worte, mit beträchtlicher historischer Freiheit überliefert, sind eine hervorragende Zusammenfassung der ritterlichen Theorie über die Rolle der Liebe: »Wenn er aber nicht verzichten, sondern weiterlieben würde, so würde das für ihn gut sein, für sein Königreich, für seine Ritter und Knappen, denn er würde zufriedener sein, lebenslustiger und kriegerischer; er würde mehr Zweikämpfe und Turniere abhalten, mehr Feste feiern als je zuvor. Er würde in seinen Kriegen fähiger und stärker sein, freundlicher und vertrauensvoller seinen Freunden gegenüber und härter gegen seine Feinde.« [Ref 61]
    Johann dem Schönen zufolge, der, bevor er in ein Kloster eintrat und Chronist wurde, selbst ein Ritter mit wenigen Illusionen gewesen war, ging diese Angelegenheit ganz anders vonstatten. Nachdem der König den Grafen von Salisbury wie Uria in die Bretagne geschickt hatte, besuchte er noch einmal die Gräfin und vergewaltigte sie wie ein Verbrecher: »Er hielt ihr den Mund mit solcher Gewalt zu, daß sie nur einen oder zwei Schreie ausstoßen konnte . . . Schließlich ließ er sie ohnmächtig zurück, aus Nase,
Mund und anderen Stellen blutend.« Eduard kehrte verstört durch das, was er getan hatte, nach London zurück, und jene gute Dame »wurde nie mehr glücklich oder froh, so schwer war ihr das Herz geworden«. Als ihr Gatte zurückkehrte, wollte sie nicht mehr bei ihm liegen, und gefragt, warum nicht, erzählte sie ihm, was geschehen war, »und saß weinend auf dem Bett neben ihm«. Der Graf von Salisbury bedachte die große Freundschaft, die ihn mit dem König verbunden hatte, und erklärte seiner Frau, daß er nicht länger in England leben könne. Er zog zu Hofe und sagte sich in Anwesenheit der Fürsten von seinen Besitztümern los, hinterließ nur seiner Frau ein lebenslanges Auskommen, trat vor den König und sagte ihm ins Gesicht: »Du hast mich verbrecherisch entehrt und mich in den Schmutz geworfen.« Danach verließ er das Land zur Trauer des Adels, und »der König wurde von allen verurteilt«.
    Wenn die Fiktion des Rittertums auch das äußerliche Verhalten zeitweise formte, so konnte es doch genausowenig wie andere Modelle, die der Mensch entwarf, die menschliche Natur verändern. Joinvilles Bericht von 1249 über die Kreuzritter

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