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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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in Damiette zeigt die Ritter Ludwigs des Heiligen tief in Gewalttätigkeit, Gotteslästerung und Ausschweifung verstrickt. Bei ihren alljährlichen Überfällen auf die litauischen Heiden veranstalteten Ritter des Deutschen Ordens Bauernjagden als sportliches Vergnügen. [Ref 62] Dennoch, auch wenn der ritterliche Ehrenkodex nichts anderes als eine dünne Zivilisationsschicht über Gewalt, Gier und Sinneslust gewesen ist, so war er doch ein Ideal wie das Christentum auch, ein Ideal, dessen Erfüllung – wie immer – die Kraft des Menschen überstieg.

KAPITEL 4
Krieg
    D er erste Feldzug Eduards III. in Frankreich, durch den Waffenstillstand von 1342 zum Stillstand gekommen, hatte keine strategischen Ergebnisse erbracht, wenn man von der Seeschlacht vor Sluis, dem Hafen von Brügge, absieht. Hier in der Scheldemündung, wo im Schutz vorgelagerter Inseln ein weiter natürlicher Hafen lag, hatten die Franzosen 200 Schiffe versammelt, die sie von so weither wie Genua und der Levante zusammengezogen hatten, um eine Invasion Englands vorzubereiten. Die Schlacht endete mit einem englischen Sieg, der die französische Flotte zerstörte und England zunächst die Vorherrschaft im Kanal gab. Die Schlacht war durch eine militärische Neuerung gewonnen worden, die zur Nemesis Frankreichs werden sollte.
    Das war der »Longbow«, [Ref 63] der lange Bogen, der von den Walisern übernommen worden war und unter Eduard I. zum Gebrauch im Kampf gegen die Schotten im Hochland weiterentwickelt worden war. Mit einer Reichweite von bis zu 250 Metern und einer Feuergeschwindigkeit von zehn bis zwölf Pfeilen in der Minute bedeutete dieser Bogen gegenüber der Armbrust mit einer Feuergeschwindigkeit von zwei Bolzen in der Minute einen revolutionären militärischen Kraftzuwachs. Der Pfeil war fast einen Meter lang und galt bis zu Entfernungen von 160 Metern als zuverlässig. War auf weite Entfernungen die Durchschlagskraft des Langbogens auch geringer als die der Armbrustbolzen, so demoralisierte der fürchterliche Pfeilhagel doch jeden Gegner. Als Eduard zum Kampf gegen Frankreich rüstete, brauchte er zum Ausgleich für die zahlenmäßige Unterlegenheit einen waffentechnischen Vorsprung. 1337 hatte er unter Androhung der Todesstrafe jeden Sport außer
dem Bogenschießen verboten und all den Handwerkern die Schulden erlassen, die sich mit der Herstellung der Bogen (aus Eibe) und der Pfeile befaßten.
    Noch eine andere neue Waffe kam zu dieser Zeit auf, die Kanone, aber sie setzte sich nur sehr langsam durch; sie war zunächst sehr viel unwirksamer als der Langbogen. Um 1325 war der »Ribaud« [Ref 64] oder »Pot de fer« erfunden worden, wie die Franzosen diese neue Waffe nannten. Es handelte sich um ein kleines Eisenrohr, das mehr die Gestalt einer Flasche besaß und einen Eisenbolzen abfeuerte, der mit einer dreieckigen Spitze versehen war. Als ein französischer Stoßtrupp 1338 Southampton plünderte und niederbrannte, fiel ihm solch ein »Rimbaud« in die Hände, dazu ein gutes Kilo Schießpulver und 48 Bolzen. Im darauffolgenden Jahr produzierten die Franzosen eine fahrbare Plattform mit den entsprechenden Röhren, deren Zündlöcher nebeneinander lagen und die so in Salven abzufeuern waren. Aber sie erwiesen sich als zu klein, um ein Geschoß mit genügender Durchschlagskraft auf den Weg zu bringen. Es ist überliefert, daß die Engländer etwas Ähnliches bei Crécy benutzt haben, jedoch ohne nennenswerten Erfolg. Auf jeden Fall kamen bei der Belagerung von Calais die ersten Feuerwaffen zum Einsatz. Aber auch hier erwiesen sie sich als machtlos gegen die Befestigungsmauern der Stadt. Später, als sie aus Bronze gegossen wurden, konnten sie wirkungsvoll gegen Brücken, Stadt-und Burgtore eingesetzt werden, aber Steinwände widerstanden ihnen noch für weitere hundert Jahre. Schwierigkeiten mit dem Nachladen, dem Feststoßen des Pulvers, dem Einführen der Geschosse und der optimalen Ausnutzung des Explosionsdrucks vereitelten bis ins 14. Jahrhundert einen effektiven Einsatz dieser Waffe.
    Unter dem persönlichen Kommando von Eduard dominierten die Bogenschützen in der Schlacht von Sluis die englischen Angriffswaffen. Je zwei Schiffe mit Bogenschützen wurden von einem Schiff mit normal bewaffneten Soldaten begleitet, zusätzliche Schiffe mit Verstärkung wurden für den Notfall bereitgehalten. Nicht die seemännische Überlegenheit, sondern die Kampfkraft der Soldaten und Bogenschützen an Bord war in jener Ära entscheidend. Sie

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