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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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erreichen, das ihm in Flandern einen Brückenkopf für den Angriff auf Frankreich sichern sollte. Die flämischen Textilproduzenten waren für das englische Bündnisangebot, und Artevelde verschrieb sich ihrer Sache. Das Hindernis der französischen Oberhoheit über Flandern wurde hinfällig, sobald Eduard den Titel »König von Frankreich« annahm. Im
Namen der französischen Krone unterschrieb Eduard nach dem Sieg von Sluis 1340 einen Vertrag mit Artevelde, aber dieser Kunstgriff war zu durchsichtig und hielt nur lange genug, um Eduard ein Sprungbrett zu geben, bevor Artevelde durch seinen Ehrgeiz ruiniert wurde.
    Artevelde war ein Mann von brutaler Tatkraft, der einmal einen flämischen Ritter, mit dem er geteilter Meinung war, vor den Augen des Königs von England mit einem Faustschlag niedergestreckt hatte. Neben der Tatsache, daß er flämische Gelder zur Finanzierung des englischen Krieges benutzte, verletzte er das flämische Ehrgefühl. Er schlug vor, daß der älteste Sohn des Königs, Eduard, der Prinz von Wales, der später als der Schwarze Prinz bekannt wurde, den ältesten Sohn des Grafen von Flandern, Ludwig von Male, als Erben und Regenten von Flandern ersetzen sollte. Das war zuviel für die guten flämischen Städte. Das Erbrecht ihres natürlichen Herrn zugunsten eines englischen Prinzen aufzuheben, verkündeten sie Artevelde mit Festigkeit, sei »eine Angelegenheit, der sie sicherlich nie zustimmen könnten«. Überdies hatte sie der Papst unter dem Druck Philipps VI. schon wegen Verrats an ihrem Herrn exkommuniziert, was großes Unbehagen auslöste und Schaden für die flandrischen Betriebe anrichtete. Ressentiments gegen Artevelde kamen auf, verbunden mit dem Verdacht, daß er Gelder zu seinem eigenen Vorteil unterschlagen hatte.
    »Bald erhob sich ein Gemurmel gegen Jakob«, aber als er durch Gent ritt, »vertraute er so sehr auf seine Größe, daß er dachte, sie bald ganz niedergeworfen zu haben.« Eine erzürnte Menge folgte ihm zu seinem Haus und forderte Rechenschaft über alle flandrischen Gelder. Daraufhin begann er sich zu fürchten und ließ, sobald er sein Haus betreten hatte, Tore, Türen und Fenster vor der schreienden Menge schließen. Schließlich trat er »mit großer Demut« ans Fenster, verteidigte seine neunjährige Regentschaft und versprach für den folgenden Tag einen vollständigen Rechenschaftsbericht, wenn die Menge sich zerstreute. »Aber alle schrien mit einer Stimme: ›Komm zu uns herunter, predige nicht von so hoch und gib uns Rechenschaft über den großen Schatz von Flandern! ‹« In Schrecken schloß Artevelde das Fenster und versuchte, durch einen Hintereingang in eine nahe gelegene Kirche zu entkommen,
aber der Mob von vierhundert Menschen brach die Türen auf, ergriff und erschlug ihn auf der Stelle. So riß im Juli 1345 das Schicksalsrad den großen Herrn von Flandern in die Tiefe.
    Kurz darauf eilten Abgesandte der flämischen Städte nach England, um König Eduard zu beruhigen, der über dieses Ereignis sehr erzürnt war. Sie versicherten ihn ihrer Bündnistreue und schlugen ihm einen Weg vor, der es ihm erlaubte, mit seinem Geschlecht das flandrische Lehen zu beerben, ohne daß er den rechtmäßigen Herrn enteignen mußte. Eduards älteste Tochter Isabella, damals dreizehnjährig, sollte den ältesten Sohn des Grafen von Flandern, den vierzehnjährigen Ludwig, heiraten, »so daß Flandern sich für immer in der Linie deiner Nachkommen befindet«. Eduard war von der Idee sehr angetan, der zukünftige Bräutigam aus Loyalitätsgründen gegenüber der französischen Krone dagegen weniger. Als Eduard ihn zwei Jahre später zur Heirat zwingen wollte, floh der junge Graf und hinterließ eine unverheiratete Prinzessin. Das hatte einen indirekten, aber entscheidenden Einfluß auf das Leben Enguerrands de Coucy. [Ref 71]
     
    Den Zeitgenossen erschien die Macht des englischen Königs, verglichen mit der des französischen, als verschwindend; Villani sprach von »il piccolo re d’Inghilterra« (dem kleinen englischen König). Es ist zweifelhaft, ob er wirklich beabsichtigte, Frankreich zu erobern. Mittelalterliche Kriege in Europa zielten weniger auf strategische Eroberungen als auf die Übernahme von dynastischen Rechten. Es ging darum, so viel Schaden im feindlichen Land anzurichten, daß der Sturz des Gegners unvermeidlich wurde. Wahrscheinlich hat Eduard so etwas angestrebt, und das schien aufgrund seiner Basis in Aquitanien und seines Brückenkopfes in

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