Der ferne Spiegel
weniger unversöhnlichen Frau, der verkrüppelten Jeanne de Penthièvre, aufgenommen. Der erbarmungslose Krieg ging weiter. Seine beiden Protagonisten wurden von Schicksalen getroffen, die der Zeit, in der sie lebten, angemessen waren: Wahnsinn und Heiligsprechung. Die Schicksalsschläge und Intrigen, die Entbehrungen und zerschlagenen
Hoffnungen überwältigten schließlich die tapfere Gräfin von Montfort, die irrsinnig wurde und nach England ging, während sich Eduard zum Anwalt ihres Sohnes machte. Eingeschlossen und vergessen, lebte sie noch dreißig Jahre in der Burg von Tickhill.
Nach einer neunjährigen Gefangenschaft gewann Karl von Blois gegen eine Lösegeldsumme, die verschiedentlich mit 350000, 400000 oder 700000 Écus angegeben wurde, seine Freiheit zurück. Obwohl er selbst endlich zu Kompromissen bereit war, hinderte seine Frau ihn daran, auf seinen Anspruch zu verzichten. Er begann den Kampf von neuem und starb schließlich auf dem Schlachtfeld. Er wurde heiliggesprochen, was aber von Papst Gregor XI. auf Betreiben des jüngeren Johann von Montfort zurückgenommen wurde, da dieser befürchtete, als Besieger eines Heiligen von der bretonischen Bevölkerung als Thronräuber angesehen zu werden. [Ref 69]
Während in der Bretagne ruhmreiche Feldzüge und große Taten verrichtet wurden, tobte in Flandern ein Kampf ganz anderer Art.
Der Handel und die Geographie machten Flandern zu einem entscheidenden Pfand der englisch-französischen Rivalität. Seine Städte waren die führenden Handelszentren Europas. Italienische Handelsbanken und Geldverleiher hatten dort ihre nordeuropäischen Hauptniederlassungen eingerichtet, was ein sicheres Zeichen für lukrative Geschäfte war.
Das Bürgertum erfreute sich eines Reichtums, der schon Königin Johanna, die Ehefrau Philipps des Schönen, erstaunt hatte: »Ich dachte, ich sei die einzige Königin in diesem Land«, sagte sie, »aber hier finde ich noch sechshundert andere.«
Obwohl ein Lehen der französischen Krone, war Flandern England durch den Textilhandel verbunden wie die Gascogne durch den Wein. »Alle Völker der Welt«, so schrieb stolz Matthäus von Westminster, »werden von englischer Wolle gewärmt, die von flandrischen Arbeitern zu Stoff verarbeitet wird.« In Qualität und Farbe einschließlich der schweren Stoffe für den Alltagsbedarf war Flandern in Europa konkurrenzlos. Die flandrischen Erzeugnisse wurden bis in den Orient verkauft und verschafften dem Land
einen wirtschaftlichen Erfolg, der es aber zugleich für die Risiken einer wirtschaftlichen Monokultur anfällig machten. In diesem Umstand lag die Quelle der Wirren und Aufstände der letzten hundert Jahre, und England und Frankreich fanden hier auch den Ansatzpunkt für den Kampf um die Kontrolle dieses Gebietes.
Der Graf von Flandern, Ludwig von Nevers, und die flämischen Adligen waren profranzösisch, während die Handelsherren und die Arbeiterschaft aus Eigeninteresse, wenn nicht gar aus Gefühlsgründen, England zuneigten. Die feudale, natürliche Verbundenheit mit Frankreich behielt die Oberhand. Flämische Stoffe und französischer Wein wurden über die Grenzen hinweg ausgetauscht, der flämische Hof war dem französischen Muster nachempfunden, der Adel war verwandtschaftlich verbunden, französische Prälaten verwalteten hohe Ämter in Flandern, der Gebrauch der französischen Sprache war weit verbreitet, flämische Studenten besuchten Schulen und Universitäten in Laon, Reims und Paris. Philipp VI. versuchte, durch verstärkten politischen Druck Flandern von England zu isolieren. Dagegen erhoben sich die Industriestädte unter der Führung von Gent und setzten Jakob von Artevelde an ihre Spitze, eine der dynamischsten bürgerlichen Gestalten im 14. Jahrhundert. Er war ein ehrgeiziger Kaufmann aus jener Klasse, die nur darauf wartete, die politische Macht von den Adelsgeschlechtern zu übernehmen, was ihn nicht hinderte, selbst nach der Adelung zu streben. Seine zwei Söhne nannten sich Messire und Chevalier , und der ältere Sohn und eine Tochter hatten in Adelsfamilien eingeheiratet. Nachdem er sich an die Spitze der Aufständischen gestellt hatte, schlug Artevelde die gräflichen Truppen [Ref 70] vernichtend und zwang den Grafen 1339, nach Frankreich zu fliehen, womit ihm die Kontrolle über das ganze Land zufiel.
In der Zwischenzeit übte Eduard, der der Garant für die Belieferung der flämischen Manufakturen mit Wolle war, Druck auf die Flamen aus, um ein Bündnis zu
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