Der ferne Spiegel
Gemeinde bemessen, aufgestellt. In einigen Gebieten wurden je hundert Haushalte verpflichtet, einen Fußsoldaten ein Jahr zu unterhalten. In ärmeren Bezirken konnte diese Verpflichtung auf 200 oder 300 Haushalte verteilt werden. Auf diese Art und Weise war aber kein großes Heer aufzustellen.
1337 stellte zum Beispiel die Stadt Rouen ganze 200 Männer, Narbonne 150 Bogenschützen, Nîmes 95 Reisige. Im Lichte dieser Zahlen schrumpfen die strammen Angaben der Chronisten von Zehntausenden auf eine bescheidenere Wirklichkeit zusammen. Das Aufkommen an wehrfähigen Männern mußte für jede Stadt, jede Region, jedes Lehnsgut und für jedes besondere Gebiet nach anderen Maßstäben berechnet werden, war unterschiedlich befristet und an unterschiedliche Vorrechte und Pflichten gebunden.
Das bedeutete aber endlose Auseinandersetzungen. Herren von Herzogtümern und Grafschaften oder von großen Baronien wie die der Coucys bezahlten ihre Leute durch einen eigenen Schatzmeister, obwohl diese Kosten im Falle eines lang andauernden Krieges durch den König erstattet werden mußten.
Die Ritter und Knappen des Adelsstandes erhielten wie die einfachen Leute ein festes Entgelt. Eine fortwährende Schwierigkeit bestand darin, zu überprüfen, ob der Regent auch die Streitkräfte wirklich zur Verfügung hatte, für die er bezahlte. Zu diesem Zweck wurde von Zeit zu Zeit ein Montre oder Appell verfügt. Gewöhnlich fand das monatlich statt, und königliche Prüfer begutachteten, ob nicht ein Diener als Herr angegeben worden war, ob nicht die gesunden Pferde nach der Musterung durch hinfällige Mähren ersetzt worden waren und auch, ob die Bezahlung in harter Münze geleistet wurde. In einer so strukturlosen Armee gab es keine Befehlshierarchie. Außer dem König, der die Armee persönlich führte, gab es als ständigen Befehlshaber noch den »Constable«, eine Art administrativer Verantwortlicher, und zwei Marschälle von unbestimmter Funktion. Alle weiteren militärischen Entscheidungen scheinen durch Ratsversammlungen der Gruppenführer gefällt worden zu sein. [Ref 75]
Durch das Anlegen der Rüstungen mit all ihren Schnallen und Riemen war die Schlacht notwendigerweise eine mehr oder minder vorarrangierte Auseinandersetzung, die durch die Logik aufeinander zurückender unbeweglicher Verbände bestimmt wurde. Der Plattenpanzer, eine Erfindung des frühen 14. Jahrhunderts, ersetzte mehr und mehr das Kettenhemd, das vom Geschoß einer Armbrust durchschlagen werden konnte. Wechselte auch der Stil der Rüstungen von einem Jahrzehnt zum nächsten, bestand die Grundform doch aus einem Brustpanzer, einem Rock aus verbundenen Eisenreifen und den Arm- und Schulterstücken, alles über einem Kettenhemd und einer gepolsterten Ledertunika getragen. Über den Panzer streifte man ein ärmelloses Wams, das das Wappen trug und so den Ritter kenntlich machte. Kettenwerk bedeckte den Nacken, die Ellbogen und die anderen Gelenke; Handschuhe aus beweglichen Panzerplättchen schützten die Hände. Der Helm, der früher offen gewesen war, hatte nun ein zusätzliches Visier.
Diese sieben bis elf Pfund Eisen umschlossen seinen Träger wie ein dunkles und stickiges Gefängnis. Um ihn für das große Gewicht der Rüstung zu entschädigen, trug der Ritter einen nur kleinen Schild, der ihm wenigstens etwas Bewegungsfreiheit ließ.
»Ein schrecklicher Wurm in einem eisernen Kokon« wurde der Ritter in einem anonymen Gedicht genannt. Er saß in einem sich hoch über dem Pferderücken erhebenden Sattel und hatte die Füße in so langen Steigbügeln, daß er praktisch stand und zu beiden Seiten gewaltig ausholende Hiebe mit einer seiner zahlreichen Waffen austeilen konnte. Er begann den Zweikampf mit der Lanze, um den Gegner vom Pferd zu werfen. An seinem Gürtel hingen ein beidhändig zu führendes Schwert und ein langer Dolch. Zusätzlich verfügte er über ein Langschwert, das man wie eine Lanze handhaben konnte und das entweder an seinem Sattel befestigt war oder von einem Knappen getragen wurde, eine Streitaxt, die hinter ihrer geschwungenen Schneide einen Sporn trug. Eine schwere Keule mit geschärften Kanten war die Lieblingswaffe von streitbaren Äbten und Bischöfen, womit sie das Verbot für Geistliche, »das Schwert zu ziehen«, zu umgehen glaubten. Das Schlachtroß, das diese Last tragen mußte, war selbst auch durch Nasen-, Brust- und Rumpfpanzerung geschützt und mit einer Schabracke bedeckt, die auf seine Beine herabfiel. Wenn das Pferd gefällt
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