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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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Schiffe waren klein, im Durchschnitt 30 bis 50 Tonnen, mit einem Mast, der ein rechteckiges Segel führte. Wenige Schiffe erreichten eine Kapazität von 200 Tonnen. Ein mittelgroßes Schiff trug hundert bis zweihundert Menschen und an die achtzig bis hundert Pferde.
    Im Juli 1346 war der König zu seinem zweiten Versuch bereit. Er wurde von seinem fünfzehnjährigen Sohn Eduard, dem Prinzen von Wales, begleitet, als er mit viertausend Reisigen, zehntausend Bogenschützen und einer Anzahl irischer und walisischer Fußsoldaten zur Normandie auslief. (Eine andere Streitmacht war schon
früher auf die längere Reise nach Bordeaux geschickt worden und hatte dort bereits entlang der Grenze von Aquitanien französische Kräfte in Kämpfe verwickelt.) Unter der Führung von Gottfried von Harcourt, der aus Frankreich verbannt worden war, landete das königliche Expeditionskorps [Ref 73] auf der Halbinsel Cotentin, von deren unbefestigten, wohlhabenden Städten sich Harcourt leichte Beute erhoffte. Obwohl Eduard »nichts mehr als Waffentaten ersehnte«, war er – Theorie und Praxis – offensichtlich erfreut über Harcourts Versprechen, daß er in der Normandie nicht mit Widerstand zu rechnen habe, weil der Herzog der Normandie und seine Ritter schon in die Kämpfe mit den Engländern in Aquitanien verwickelt waren und die Bevölkerung an Krieg nicht gewöhnt sei.
    Die Normandie erwies sich als so fruchtbar, daß die Engländer keine Nachschubsorgen hatten, und die Bevölkerung als so unkriegerisch, daß sie ausnahmslos die Flucht ergriff und »ihre Häuser und Scheunen voller Lebensmittel und Korn« zurückließ, »weil sie nicht wußten, wie sie etwas retten sollten, und auch nicht wußten, wie man einen Krieg führt«. Die Bevölkerung der reichen, unbefestigten Stadt Caen verteidigte sich mit Hilfe einer Rittertruppe unter dem Grafen von Eu energisch, aber die Engländer mit ihrem gut funktionierenden Nachschub siegten. Der Graf von Eu wurde gefangengenommen und mit vielen anderen Gefangenen und Wagen voller Beute zurück nach England geschickt, um dort bis zur Zahlung einer erheblichen Lösegeldsumme festgehalten zu werden, ein Vorgang, der tragische Konsequenzen haben sollte. »Brennend, plündernd und verwüstend« zogen die Engländer von Stadt zu Stadt und erbeuteten Teppiche, Juwelen, Handelsware und Viehbestand, nahmen Männer und Frauen gefangen.
    Die Plünderung der Normandie durch eine Armee des Königs von England war ein Beispiel für alles, was noch folgen sollte. In drei Kampfgruppen oder »Schlachten« organisiert, »überrannten, plünderten und raubten sie ohne Gnade«. Sie fanden so viel Beute, daß »sie nur noch kleine Tagesmärsche zurücklegten und zwischen Mittag und drei Uhr schon ihre Quartiere bezogen«. Die Soldaten »legten dem König oder seinen Offizieren keinerlei Rechenschaft darüber ab, was sie sich aneigneten; sie behielten es für sich«. Während sie auf dem einen Seineufer auf Paris zu zogen, folgte
ihnen König Philipp auf der anderen Seite und traf in Paris ein, als Eduard Poissy erreichte, dreißig Kilometer westlich der Stadt.
    König Eduards Armee plünderte und verbrannte die Dörfer der Umgebung. »Die Flammen vor ihren Toren schlugen die Bewohner mit ungläubigem Entsetzen«, schrieb Jean de Venette, »und ich, der ich dieses geschrieben habe, sah all diese Taten, denn sie konnten von Paris aus von jedem gesehen werden, wenn er nur den nächsten Turm bestieg.« [Ref 74]
    Philipp VI. hatte inzwischen den Arrière-ban oder die Generalmobilmachung ausrufen lassen. Sie ging von dem Prinzip aus, daß alle Untertanen mit ihrem Leben »für die Verteidigung des Vaterlandes und der Krone« einzustehen hatten, und sollte nur angewandt werden, wenn die Adligen nicht stark genug waren, den Feind allein zurückzuschlagen. Der Aufruf wurde durch »öffentliche Kundtuung« verbreitet, das heißt durch umherziehende Herolde, die die königlichen Verlautbarungen auf Marktplätzen und Dorfplätzen verkündeten. Besondere Briefe gingen an Städte und Abteien, um auf die herkömmlichen Subsidien hinzuweisen. Zur damaligen Zeit leisteten einige Städte ihre Pflichten immer noch durch eilig zusammengestellte Fußsoldaten ab, die untrainiert und weitgehend nutzlos waren. Andere bevorzugten Geldzahlungen, die die Rekrutierung wirksamerer Kampfeinheiten erlaubten.
    Nichtadlige militärische Einheiten wurden durch Städte und Landbezirke, nach der Anzahl der Haushalte und dem relativen Wohlstand der

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