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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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wurde, war es dem Ritter im Durcheinander von Rüstung, Schild, Waffen und Sporen kaum möglich, sich zu erheben, bevor er gefangengenommen wurde. [Ref 76]
    Die Kampftaktik auf dem Kontinent bestand einfach im Kavallerieangriff der Ritter, dem ein Handgemenge zu Fuß folgte, das manchmal durch Bogenschützen oder Infanterie unterstützt wurde, beides Waffengattungen, die von den Rittern verachtet wurden. In den schottischen Kriegen hatte die englische Armee jedoch herausgefunden, daß eine disziplinierte Kampfgruppe von Bogenschützen eine berittene Angriffswelle dadurch aufhalten konnte, daß sie den Rittern die Pferde unter dem Körper wegschossen. Eine wirklich nützliche Entdeckung wie diese ist in der Lage, selbst die Klassenverachtung zu überwinden. In dem ständigen Austausch zwischen England und Frankreich hätten die Franzosen den Gebrauch des Langbogens eigentlich kennenlernen müssen. Es
ist ihnen aber nie gelungen, ihn zu ihrem eigenen Vorteil einzusetzen, da die französischen Ritter nicht bereit waren, eine kampfentscheidende Aufgabe an nichtadlige Kämpfer abzutreten, obwohl die Normannen England einst durch jenen entscheidenden Schuß erobert hatten, mit dem ein normannischer Bogenschütze Harald ins Auge traf.
    Die Franzosen setzten zwar auch Armbrustschützen ein, ließen aber nicht zu, daß durch ihre Geschosse der Kampfkraft der Ritter die Wucht genommen wurde. Die Ritterschaft bestand auf der Tradition, daß der Kampf der Krieger ein Zweikampf zu sein hatte; Geschosse, die den Kampf auf Distanz erlaubten, wurden verachtet. Der erste Bogenschütze war nach einem Lied des 12. Jahrhunderts »ein Feigling, der sich nicht an seinen Feind heranwagte«. Ging es jedoch um die Bekämpfung von Gemeinen wie 1328 bei Cassel, gaben die Franzosen ihren Armbrustschützen den strategischen Spielraum, der diesen Sieg begründete. [Ref 77]
    Die Armbrust bestand aus Holz, Stahl und einer Sehne. Der Schütze spannte sie mit seinem Fuß unter Zuhilfenahme eines Steigeisens, eines Hakens oder eines Spanngriffs an seinem Gürtel. Seltener wurden auch regelrechte Flaschenzüge eingesetzt. Einmal gespannt, feuerte die Armbrust einen Bolzen mit erheblicher Durchschlagskraft ab. Aber sie war nur kompliziert zu spannen, besaß nur eine geringe Feuergeschwindigkeit und war sehr schwierig zu transportieren. Der Schütze trug etwa fünfzig Bolzen im Kampfeinsatz bei sich, aber sein Marschgepäck mußte auf Wagen verladen werden. Durch relativ umständliche Handhabung war die Armbrust daher eher für den stationären Einsatz bei Belagerungen geeignet als für die offene Feldschlacht. Eine geschlossene Staffel angreifender Ritter konnte die Stellungen der Armbrustschützen gewöhnlich überrennen, wenn sie bereit war, einige Verluste hinzunehmen. Obwohl die mechanische Kraft der Armbrust bei ihrer Erfindung einen so großen Schrecken auslöste, daß sie 1139 von der Kirche verboten wurde, blieb sie zweihundert Jahre in Gebrauch, ohne die gepanzerte Vorherrschaft der Ritter zu erschüttern.
    Durch Rüstung und Ritterstolz gestärkt, fühlte sich der Adlige unverwundbar und unüberwindlich; voller Verachtung sah er auf
den Fußsoldaten herab. Er glaubte, daß auf die Gemeinen, die vom Ritterstand ausgeschlossen waren, im Krieg niemals Verlaß sei. Sicher, als Diener, Transportarbeiter, Nachschublieferanten und Straßenbauer waren sie zu gebrauchen, aber als Soldaten im Lederwams, mit Langspieß und Hellebarde bewaffnet, waren sie schlicht ein Hindernis und würden im harten Kampf »dahinschmelzen wie Schnee in der Sonne«. Das war nicht einfach Überheblichkeit der Ritterschaft, sondern die Folge fehlender Ausbildung der Gemeinen. Das Mittelalter hatte keine Kampftruppe, die der römischen Legion entsprach. Die Städte besaßen zwar ausgebildete Wacheinheiten, neigten aber dazu, nur hergelaufene Freiwillige zur Vaterlandsverteidigung in den Kampf zu schicken. Auch die Äbte kannten gewinnbringendere Beschäftigungen für ihre Bauern, als sie einem militärischen Drill zu unterziehen. In jeder Epoche ist der Unterschied zwischen einer Armee und einem Haufen Bewaffneter militärischer Drill. Der wurde den Fußsoldaten, die durch den Arrière-ban einberufen wurden, nicht zuteil. Sie wurden als nutzlos verachtet, und sie waren nutzlos, weil sie verachtet wurden.
     
    Am 26. August 1346 trafen bei Crécy [Ref 78] in der Picardie, dreißig Kilometer vor der Küste, die englische und die französische Armee aufeinander. Wie jener

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