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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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Zusammenprall in einem anderen August war die Schlacht der Beginn einer Ära wachsender Gewalt und zusammenbrechender Ordnung. Dieses Zusammentreffen war nicht geplant. Als er von der großen Streitmacht hörte, die der französische König um sich versammelte, zeigte Eduard wenig Lust zu einer Konfrontation, zumindest solange der Rückzug nicht gesichert war. Er wandte sich von Paris ab, marschierte nordwestlich auf die Kanalküste zu, wahrscheinlich war sein Ziel Flandern, wo seine Schiffe lagen. Wenn das sein Vorhaben war, dann war es kaum geeignet, ihn zum König von Frankreich zu machen. Die französische Armee holte indessen in Eilmärschen die Engländer ein, bevor sie die Küste erreichten. Eduard, der erkannte, daß er zur Schlacht gezwungen war, ließ seine Armee auf einem breiten Hügelrücken nahe Crécy günstige Verteidigungsstellungen beziehen. Die französischen Ritter waren so zuversichtlich, daß sie schon vor Beginn der Schlacht darüber sprachen, wen sie gefangennehmen wollten
und wen sie von den Turnieren her unter den Engländern kannten. Nur König Philipp war unentschlossen. »Sorgenvoll und ängstlich« schien er eine neue verborgene Gefahr oder einen weiteren Verrat zu befürchten, nachdem er den Abfall der Bretagne und Harcourts Überlaufen zu den Engländern hatte erleben müssen.
    Da seine Truppen in der Nacht vor der Schlacht weit vom Schlachtfeld entfernt gelagert hatten, erreichten sie die Stellungen der Engländer nicht vor vier Uhr nachmittags. Der Feind hatte die Sonne im Rücken, die die Franzosen blendete. Die Armbrustschützen waren nach dem langen Tagesmarsch müde und unzufrieden, die Sehnen der Armbrüste waren durch einen plötzlichen Wolkenbruch naß geworden. Die englischen Bogenschützen dagegen hatten die Sehnen abgenommen und unter ihren Helmen vor der Nässe bewahrt. [Ref 79] Was dann auf französischer Seite folgte, war ein Chaos aus gedankenlosem Draufgängertum, Pech, Fehlern, Disziplinlosigkeit und der chronischen ritterlichen Schwäche für spektakuläre Taten, für Tapferkeit ohne Rücksicht auf sinnvolle Taktik oder militärische Organisation.
    In letzter Minute ließ sich Philipp von seinen Ratgebern überzeugen, das Treffen auf den nächsten Tag zu verschieben, und befahl der Vorhut umzukehren, aber seine Befehle wurden nicht befolgt. Ohne den Armbrustschützen die Möglichkeit zu geben, die englischen Reihen zu schwächen, stürmten die französischen Ritter bergauf gegen den Feind. Noch außerhalb der eigenen Reichweite wurden die französischen Armbrustschützen von den Engländern mit einem derartigen Pfeilhagel überschüttet, daß sie ihre Armbrüste fallen ließen und zurückwichen. Der König, dessen Gesichtsfarbe wechselte, als er die Engländer sah, »weil er sie haßte«, verlor die Kontrolle über die Situation. Als er seine Armbrustschützen flüchten sah, schrie entweder er oder sein Bruder, der Graf von Alençon: »Macht die Halunken nieder, die uns im Weg sind!«, und die Ritter schlugen »in Hast und Unordnung« auf die Armbrustschützen ein, um sich einen Weg freizuhauen. Aus dieser schrecklichen Verwirrung in den eigenen Reihen heraus warfen sich die Franzosen in Angriff um Angriff gegen den Feind, aber die disziplinierten Reihen der englischen Langbogenschützen hielten stand, gefestigt durch die lange Übung, die diese Waffe erforderte,
und säten mit ihren Geschossen Tod und Verwirrung unter den Angreifern. Die englischen Ritter gingen zu Fuß vor, vor ihnen die Bogenschützen und neben ihnen die Spießträger und die mörderischen Waliser, die mit langen Messern unter den Gestürzten umhergingen und ihnen ein Ende machten. Der Prinz von Wales stand an der Spitze einer Kampfgruppe, während König Eduard von einer Windmühle auf dem Hügel aus das Kommando und den Überblick behielt. Über die Abenddämmerung hinaus und in die Nacht hinein setzte sich das Kampfgewühl fort, bis König Philipp nach einer Verwundung von dem Grafen von Hainault weggeführt wurde, der sagte: »Sire, verliert Euer Leben nicht leichtsinnig.« Er ergriff den Zügel seines Pferdes und führte den König vom Schlachtfeld. Mit nur fünf Begleitern ritt der König durch die Nacht zu einer nahe gelegenen Burg, deren Vogt fragte, wer er sei. »Öffnet Euer Tor schnell«, soll der König gesagt haben, »hier steht das Schicksal Frankreichs.«
    Um die viertausend Männer der französischen Armee lagen tot auf dem Schlachtfeld, unter ihnen vielleicht Enguerrand de Coucy

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