Der ferne Spiegel
VI. Unter den Gefallenen waren die vornehmsten Namen Frankreichs und dessen Verbündeter: der Graf von Alençon, des Königs Bruder, Graf Ludwig von Nevers von Flandern, die Grafen von St. Pol und Sancerre, der Herzog von Lothringen, der König von Mallorca und der Ruhmvollste von allen, König Johann der Blinde von Böhmen, dessen Wappen aus drei Straußenfedern mit dem Motto »Ich dien« vom Prinz von Wales erbeutet worden war, der es von da an seinem Titel hinzufügte. Karl von Böhmen, des blinden Königs Sohn und weniger draufgängerisch als sein Vater, hatte das Unheil kommen sehen und entkam.
Es war kein Mangel an Tapferkeit, der die französischen Ritter und ihre Verbündeten scheitern ließ. Sie kämpften so heldenmütig wie die Engländer, denn die Ritter aller Länder glichen einander. Der Vorteil der Engländer lag in der Verbindung der nichtadligen Verbände – den walisischen Messerkämpfern, den Spießträgern und vor allem den geübten Bauern, die den Langbogen führten – mit der Kampfweise des Ritters. Solange die eine Seite in diesem Kampf den Vorteil einer solchen Taktik nutzte und die andere nicht, sollte das Kriegsglück einseitig bleiben.
Die Verfolgung eines geschlagenen Feindes fand sich nicht im mittelalterlichen Kriegslexikon. Eduard war offensichtlich selbst über seinen Sieg so erstaunt, daß er an Verfolgung überhaupt nicht dachte. Fasziniert von der Beute ihres Sieges, verbrachten die Engländer den nächsten Tag damit, die Toten zu identifizieren und zu zählen. Sie sorgten für standesgemäße Begräbnisse der Adligen und schätzten die Höhe der Lösegelder für die Gefangenen. Danach scheint Eduard trotz seines Anspruchs, König von Frankreich zu sein, jedes Interesse an Philipp, der in Amiens Zuflucht gesucht hatte, verloren zu haben. Die Engländer marschierten an der Küste entlang, um Calais anzugreifen, den Dover gegenüberliegenden Hafen an der engsten Stelle des Ärmelkanals. Hier sahen sie sich einer zähen Verteidigung gegenüber und gruben sich für eine Belagerung ein, die über ein Jahr dauern sollte.
Die Niederlage der französischen Ritterschaft und des angeblich mächtigsten Herrschers Europas zog eine Kette von Reaktionen nach sich, die erst mit der Zeit in vollem Umfang deutlich wurden. Obwohl die französische Monarchie nicht vernichtet oder auch nur zu Zugeständnissen gezwungen war, kam ein allgemeines Mißtrauen gegen die königliche Regierung auf. Dies bekam der König vor allem zu spüren, als er erneut auf Sondersteuern zurückgriff. Der Glaube an die Fähigkeiten des Adels, seine gesellschaftlichen Aufgaben zu erfüllen, war erschüttert und sollte sich nicht wieder erholen.
Während er Calais belagerte, hoffte Eduard noch immer, sein Bündnis mit Flandern durch die Heirat seiner Tochter mit dem Grafen Ludwig von Male [Ref 80] von Flandern zu untermauern. Der Tod des Vaters des jungen Grafen – Ludwig von Nevers war auf dem Schlachtfeld von Crécy gefallen – hatte das Haupthindernis beseitigt. Der fünfzehnjährige Ludwig war aber am französischen Hof aufgewachsen und wollte der Verbindung »mit der, deren Vater den meinen erschlug«, nicht zustimmen, »selbst wenn sie ihm das halbe englische Königreich eingebracht hätte«. Als die Flamen sahen, daß ihr Fürst »zu französisch und übel beraten« war, steckten sie ihn in ein »ritterliches Gefängnis«, in dem er bleiben sollte, bis er ihrem Ansinnen zustimmte. Nach einigen Monaten war ihm die
Gefangenschaft so lästig, daß er dem Plan zustimmte. Wieder auf freiem Fuß, durfte er zur Falkenjagd ausreiten, aber er wurde so streng bewacht, »daß er ohne Wissen seiner Wächter nicht einmal pissen konnte«.
Im frühen März des Jahres 1347 kamen der englische König und die Königin mit ihrer Tochter Isabella von Calais nach Flandern herauf. Unter großen Zeremonien wurde die Verlobung gefeiert, der Heiratsvertrag aufgesetzt und die Hochzeit für die erste Aprilwoche anberaumt. Ludwig ging weiterhin der Falknerei nach und gab vor, mit der Heirat sehr zufrieden zu sein, so daß die Flamen in ihrer Aufmerksamkeit nachließen. Aber sie mißdeuteten die äußerliche Gelassenheit ihres Herrn, »denn sein inneres Gemüt war ganz französisch«.
In der Woche vor seiner Hochzeit ritt er mit seinem Falkner wie gewöhnlich aus. Mit dem Ruf »Hoi, hoi!« warf er seinen Falken nach einem Reiher, folgte seinem Flug und »gab dann plötzlich seinem Pferd die Sporen und galoppierte davon«. Er hielt
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