Der ferne Spiegel
dein Durst wird vergehen!« Das Gefecht wurde wiederaufgenommen, und die Ritter kämpften; bis die französische Seite die Oberhand gewonnen hatte und keiner der Überlebenden mehr unversehrt war. Bramborough und acht seiner Mitstreiter fielen, die übrigen gingen in Gefangenschaft und wurden als Geiseln festgehalten.
In der breiten Diskussion, die der Waffengang auslöste, »hielten
einige ihn für eine sehr erbärmliche Sache und andere für ein Heldenstück«. Die Bewunderer waren in der Überzahl. Das Treffen wurde in Versen, auf Bildern und Wandteppichen gefeiert, ein Denkmal wurde auf dem Schlachtfeld errichtet. Mehr als zwanzig Jahre später traf Froissart an der Tafel König Karls V. einen vernarbten Überlebenden dieser Schlacht; er wurde vor allen anderen geehrt. Er erzählte dem immer neugierigen Chronisten, daß er die große Gunst, die der König ihm schenkte, der Tatsache verdankte, daß er einer von jenen dreißig gewesen war. Ruhm und Ehre dieses Waffenganges spiegelten die nostalgische Vision des Ritters, wie eine Schlacht zu sein hatte. Mochte er auch eine Kriegführung der Plünderungen und Verwüstungen praktizieren, er träumte doch von der edlen Größe eines Sir Lancelot.
Während die Ritter des Ordens vom Stern sich vergnügten, eroberten die Engländer die Festung von Guînes, deren Hauptmann mit seinen Freunden die Ordensgründung feierte. Zu ihrem eigenen Verhängnis hielten sich einige Ordensritter später an ihren Schwur, nicht zu fliehen. Marschall Guy de Nesle geriet mit einer Streitmacht französischer Ritter 1352 in einen englischen Hinterhalt bei Mauron in der Bretagne. Er und seine Männer hätten fliehen und sich damit retten können, aber sie fühlten sich an ihren Eid gebunden und zogen sich nicht zurück. Obwohl sie umstellt waren, versuchten sie nicht auszubrechen, sondern hielten stand und kämpften, bis alle getötet oder gefangengenommen waren. Die Toten lagen so dicht übereinander auf dem Schlachtfeld, daß die Leiche von Guy de Nesle erst zwei Tage später entdeckt wurde. Sieben französische Bannerherren und achtzig oder neunzig Ritter ließen ihr Leben. Zusammen mit den Gefangenen riß dieser Verlust so große Lücken in die Reihen des Ordens, »daß die großen Unglücksfälle und Mißgeschicke, die noch folgen sollten, den Ruin der edlen Gesellschaft bedeuteten«.
In Frankreichs Unglück sah ein junger Mann von zwanzig Jahren, Karl, König von Navarra und Enkel Ludwigs X., seine Chance. Ob er wirklich die französische Krone anstrebte oder Rache für persönlich erlittenes Unrecht suchte oder wie Jago die Verwirrung um ihrer selbst willen liebte, ist ein Rätsel, das in einem der undurchschaubarsten
Charaktere des 14. Jahrhunderts verborgen geblieben ist. Er war ein kleiner, schlanker Mann mit glänzenden Augen, beredt, launisch, intelligent, charmant, gewalttätig, verschlagen wie ein Fuchs, ehrgeizig wie Luzifer und wahrhaft »verrückt, böse und gefährlich«. Mit verführerischer Eloquenz konnte er seine Ritter ebenso überreden wie die Massen aufhetzen. Er erlaubte sich dieselben ungezügelten Gemütsausbrüche wie Johann und andere Herrscher, aber im Gegensatz zu Johann war er ein subtiler, kühner Intrigant, absolut ohne Skrupel, aber zugleich so sprunghaft und unzuverlässig, daß er seine eigenen Pläne untergrub. Als Karl der Böse ist er in die Geschichte eingegangen.
Durch seine Mutter, eine Tochter Ludwigs X., stammte Karl von Navarra in direkterer Linie von den letzten Kapetingern ab als Johann II., aber seine Eltern hatten jeden Anspruch auf die Krone abgetreten, als sie Philipp VI. als rechtmäßigen König von Frankreich anerkannt hatten. Dafür waren sie mit dem Königreich von Navarra entschädigt worden. Das kleine Reich in den Pyrenäen bot ihrem Sohn wenig Einflußmöglichkeiten, aber als Graf von Evreux hielt er ein großes Lehen in der Normandie, das ihm Macht verlieh und ihm als Ausgangsbasis für seine Operationen diente.
Eifersucht und Haß auf Karl von Spanien, den neuen Constable, trieben ihn zur Tat. In einem unüberlegten Gunsterweis hatte der König seinen Favoriten Karl von Spanien mit der Grafschaft von Angoulême belehnt, die traditionell dem Hause Navarra gehörte. Johann versuchte, Karl von Navarra durch die Verlobung mit seiner achtjährigen Tochter zu beschwichtigen, verschlimmerte die Angelegenheit aber nur noch, indem er die Aussteuer seiner Tochter einbehielt. So konnte er kein Freund seines neuen Schwiegersohnes
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