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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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werden.
    Karl von Navarra versuchte, den König über Karl von Spanien zu treffen. Kein Freund von Halbheiten, ließ er ihn einfach ermorden – nicht ohne den Hintergedanken, daß er durch die Tat die vielen Adligen, die sein Opfer ebenfalls haßten, auf seine Seite ziehen konnte. Er machte sich selbst aber nicht die Hände schmutzig.
    Sein Bruder, Philipp von Navarra, erledigte diese Aufgabe mit einer Gruppe von Helfershelfern, zu denen auch Johann von Harcourt,
zwei weitere Brüder Harcourt und andere führende Adlige aus der Normandie gehörten.
    Im Januar 1354 nutzten sie die Gelegenheit, als der Constable die Normandie besuchte, brachen in sein Zimmer ein, in dem er nach mittelalterlichem Brauch nackt schlief, und zogen ihn mit im Fackelschein blinkenden, gezogenen Schwertern aus dem Bett. Er warf sich mit gefalteten Händen vor Philipp auf die Knie und bat um Gnade. Er wollte sich »mit Gold freikaufen, sein neues Land zurückgeben, nach Übersee gehen und niemals zurückkehren«. Der Graf von Harcourt bat Philipp, Mitleid zu haben, aber der junge Mann, von der Wut und dem Haß seines Bruders verblendet, hörte nicht auf ihn. Seine Männer fielen über Karl »so wild und schrecklich« her, daß sein Körper von achtzig Schwertstößen durchbohrt wurde. Sie galoppierten zu dem wartenden Karl von Navarra zurück und riefen ihm zu: »Es ist getan. Es ist getan!« »Was ist getan?« fragte er, um die Form zu wahren, und sie antworteten: »Der Constable ist tot!« Die Kühnheit dieses Schlags, der den dem König nächststehenden Mann traf, machte Karl von Navarra zu einem unübersehbaren Machtfaktor des Königreiches. Johann erklärte seinen Besitz in der Normandie für beschlagnahmt, aber das mußte er militärisch erst einmal durchsetzen. [Ref 114]
    Karls Zeitgenossen haben diesen Mord im allgemeinen seinen Rachegefühlen und seinem Haß zugeschrieben, aber war es Leidenschaft oder Berechnung? Hemmungslosigkeit war charakteristisch für die Herrscher der Zeit, und es scheint, als seien in diesen Jahren bizarre Ausbrüche von Gewalttätigkeit häufiger geworden, vielleicht in der Folge des Schwarzen Todes und dem Gefühl der Unsicherheit des Lebens. So entluden sich im Jahre 1354 die periodischen Spannungen zwischen Bürgertum und Universität in Oxford in einem wilden Gefecht, in dem die Parteien mit Dolchen, Schwertern, ja sogar Pfeil und Bogen aufeinander losgingen. Der Kampf endete mit einem Massaker unter den Studenten und der Schließung der Universität. Erst nachdem der König Schutzmaßnahmen für die Freiheit der Universität ergriff, konnte sie wieder geöffnet werden. Als in Italien Francesco Ordelaffi, der Tyrann von Forli, berüchtigt wegen seiner subitezza , seines Jähzorns, 1358 mit letzten Kräften den Widerstandskampf gegen die päpstlichen Truppen
führte, wagte sein Sohn, ihn zu bitten, den sinnlosen Kampf abzubrechen. »Du bist entweder ein Bastard oder ein Wechselbalg! « schrie der erzürnte Vater und zog, als sein Sohn sich abwandte, den Dolch »und stach ihn in den Rücken, so daß er noch vor Mitternacht starb«. In einem ähnlichen Ausbruch rasender Wut tötete der Herzog von Foix, der mit einer Schwester Karls von Navarra verheiratet war, seinen einzigen legitimen Sohn.
    Seit langem schon hatte man sich in diesem Zeitalter an die Gewalt gewöhnt. Im 10. Jahrhundert war ein »Gottesfrieden – Treuga Dei« – vereinbart worden, um der Sehnsucht nach Frieden entgegenzukommen. Dieser Gottesfrieden galt für alle Festtage, Sonntage und Ostern. In dieser Zeit durften Arbeiter, Bauern, Händler, Handwerker und sogar Tiere nicht von den Männern des Schwertes angegriffen werden. Alle öffentlichen und religiösen Häuser galten an diesen Tagen als Asyl. So wenigstens die Theorie. In der Praxis war der Gottesfrieden wie andere Gebote der Kirche ein zu grobmaschiges Netz, um die Instinkte der Menschen zurückzuhalten.
    Die Leichenbeschauer Englands [Ref 115] mußten wesentlich öfter Totschlag als Unfall zur Todesursache erklären, und meistens gelang es den Schuldigen, der Strafe durch Bestechung oder gute Verbindungen zu entgehen. Die Literatur der Zeit spiegelte die Gewalttätigkeit des Lebens wider. Eine der Geschichten, die La Tour Landry zur Aufklärung seiner Töchter schrieb, erzählt von einer Frau, die mit einem Mönch durchbrannte und von ihren Brüdern mit ihm zusammen im Bett gefaßt wurde. »Sie nahmen ein Messer und schnitten dem Mönch die Hoden ab, warfen sie ihr ins Gesicht

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