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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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daß »er sich niemals wieder erholen würde«. Gleichzeitig bat er um Unterstützung durch englische Truppen aus der Bretagne.
    Das ganze Jahr 1354 hindurch schwankte die Zukunft des Jahrhunderts zwischen Krieg und Frieden. Papst Innozenz VI., der alt und kränklich war, versuchte dringend, eine Beilegung des Konflikts zu erreichen, weil er den Lärm der Ungläubigen vor den Toren hörte. 1353 hatten die Türken Gallipoli genommen, den Schlüssel zum Hellespont, und damit den Fuß auf europäischen Boden gesetzt. Gegen diese Bedrohung wollte er die christlichen Energien vereinen, was nicht möglich war, wenn England und Frankreich ihren Krieg wiederaufnahmen.

    Unter dem Druck des Papstes und ihrer leeren Kassen waren Eduard und Johann in Verhandlungen um einen dauernden Frieden eingetreten, den keiner von beiden wirklich wollte. Der englische König hatte den Kredit aufgezehrt, den ihm sein Volk für einen Krieg eingeräumt hatte, der weder auf diplomatischem noch auf kämpferischem Wege zu beendigen zu sein schien. Der dritte Stand fand, daß die Kosten die Beute weit überstiegen. 1352 hatte das Parlament die Macht des Königs zur Aushebung von Soldaten eingeschränkt. Als der Lord Chamberlain im April 1354 das Unterhaus fragte, »ob sie einem Vertrag über den endgültigen Frieden zustimmen« würden, riefen die Mitglieder einmütig: »Aye! Aye!«
    Auf seiner Seite befürchtete Johann eine Übereinkunft zwischen Karl von Navarra und König Eduard. Die »wohlunterrichteten Kreise« des Mittelalters sprachen nur noch von dem Verrat seines Schwiegersohns. Zudem hatte der König keinerlei Aussicht auf Truppen und Steuerhilfe aus der Normandie. Unter diesen Umständen sah er sich gezwungen, seinen Zorn herunterzuschlucken, die Beschlagnahmung der Güter Karls von Navarra rückgängig zu machen, ihn zu begnadigen und zu einer Versöhnungszeremonie nach Paris einzuladen. Karl kam, denn nie im Leben konnte er verlockenden Angeboten widerstehen. Vielleicht kam er auch, weil er sich – er war erst zweiundzwanzig – seiner Sache doch nicht so sicher war, wie er es in Wort und Tat verkündet hatte. Mit Umarmungen, Treueschwüren und durchdachten Formeln ging dieser Scheinfrieden im März 1354 über die Bühne. Die Gefühle der beiden Kontrahenten mag sich jeder selbst ausmalen.
    Das Jahr stand zögernd am Rand des Friedens. Der Krieg war durch einen Friedensschluß mit gewaltigen Vorteilen für England fast beendet, als Frankreich sich im letzten Augenblick aufbäumte und den Vertrag ablehnte. Das einzige Ergebnis dreijähriger Verhandlungen und des päpstlichen Friedenseifers war eine Verlängerung des Waffenstillstands um ein Jahr. Noch einmal nahm Karl von Navarra die Gespräche mit Eduard auf und vereinbarte eine Vereinigung der Streitkräfte beider in Cherbourg, von wo aus sie den Feldzug beginnen wollten. Die Hoffnungen Innozenz’ VI. wurden unter den Trümmern des Friedensvertrages begraben. Als der Papst Eduard vorwarf, mit Karl von Navarra gegen den französischen
König zu konspirieren, log Eduard so leichthin wie die Herrscher späterer Zeiten: »Ich spreche die Wahrheit und schwöre es beim Herzen Gottes.« Er wies die Anklage »beim Wort eines Königs« zurück. Der Text der Korrespondenz mit Karl von Navarra ist überliefert.
    In seiner Eile, den Krieg neu zu beginnen, versandte Eduard an die Erzbischöfe von Canterbury und York Briefe, in denen er die französische Perfidie und seine Rechtschaffenheit bekundete. Die Briefe wurden von königlichen Herolden öffentlich verlesen, und von den Kanzeln im Lande wurde das französische Unrecht in Eduards Version verbreitet. Eduard verstand die Rolle der Öffentlichkeitsarbeit. Auf dem einen oder anderen Wege gelang es ihm auch, die nötigen Finanzmittel aufzutreiben und die Zustimmung des Parlaments zu erlangen. Während des Sommers 1355 zog er Flotten und Truppen an der Küste zusammen. Als der geltende Waffenstillstandsvertrag zur Sommersonnenwende auslief und nicht erneuert wurde, standen zwei Expeditionsarmeen zum Übersetzen nach Frankreich bereit. Die eine sollte unter Eduard, dem Schwarzen Prinzen, nach Bordeaux aufbrechen, die andere unter der Führung des Herzogs von Lancaster in die Normandie, um sich dort mit Karl von Navarra zu vereinigen. [Ref 118]
    Mit Hilfe günstiger Winde gelangte Prinz Eduard in drei oder vier Tagen an die französische Küste nahe Bordeaux. Er befehligte eintausend Ritter, Knappen und andere Waffenträger, zweitausend

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