Der ferne Spiegel
durch die Hinrichtung eines Edlen von des Grafen Rang. Wenn der Graf wirklich verräterisch gehandelt hatte, indem er seinen an Calais angrenzenden Besitz an die Engländer übergab, hätte der französische König allen Anlaß gehabt, seine
Gründe für das Urteil genau zu erklären, aber Johann war zu halsstarrig oder zu willkürlich, um die Wichtigkeit der öffentlichen Meinung zu erkennen.
Sein nächster Schritt verschlimmerte die Angelegenheit noch. Er gab das Amt des Constable an seinen Favoriten Karl von Spanien, dem man nachsagte, daß er dem König in »unehrenhafter Zuneigung« verbunden sei. Ihm auch schrieb man die Urheberschaft am königlichen Mord am Grafen von Eu zu, weil er dessen Amt begehrte. So verwandelte Johann zu einer Zeit, als er allen Grund hatte, die separatistischen Tendenzen der Fürstenhäuser zu fürchten, die Trauer des Adels in Zorn. Die Episode war ein zerstörerischer Beginn seiner Herrschaft in einer Zeit, da sie der Einheit am meisten bedurfte. [Ref 111]
Aber schon Johanns Vater war »ung bien hastif homs« (ein sehr ungeduldiger Mann) gewesen, und die Vetternehen der letzten Jahrhunderte waren für die Valois nicht ohne Folgen geblieben. Johann übernahm von seinem Vater die Zweifel an der Legitimität seiner Herrschaft genauso wie dessen ständige (nicht unbegründete) Angst vor Verrat. Von seiner Mutter, der lahmen Königin, hatte er die Rachsucht geerbt. Denn trotz ihrer Frömmigkeit und ihrer guten Werke wurde sie »eine grausame Herrin« genannt, »denn wen sie haßte, der war ohne Gnade tot«. Ihr schrieb man auch zu, ihren Gatten zu der Tat getrieben zu haben, die seine Zeitgenossen so entsetzte – die Hinrichtung von fünfzehn bretonischen Rittern, die seine Gefangenen waren.
In den Feldzügen der 1340er Jahre hatte Johann die Engländer in Aiguillon vier Monate lang vergeblich belagert. Den Überlieferungen zufolge hatte er sich jedem Rat verschlossen und war »schwer zu bewegen, wenn er sich eine Meinung gebildet hatte«. Sein bemerkenswertestes Talent muß die Fähigkeit gewesen sein, seine Habgier zu befriedigen. Er hatte Freude am Luxus, war ein Kenner auf dem Gebiet der Kunst, aber sicher nicht auf dem der Ministerauswahl. Er hatte von seinem Vater eine Anzahl zwielichtiger Persönlichkeiten übernommen, die weder fähig noch ehrlich waren, von den Adligen wegen ihrer bürgerlichen Abstammung verachtet und von den Bürgern wegen ihrer Habsucht und Bestechlichkeit gehaßt wurden. Simon de Buci, Robert de Lorris und Jean Poilevain
wurden alle drei als Minister des Königs wegen Willkür beziehungsweise Unterschlagung und Betrug angeklagt und mußten vom König begnadigt werden. Männer wie diese brachten die königliche Regierung zunehmend in öffentlichen Mißkredit.
Johanns erster größerer Verwaltungsakt war ein ernsthafter Versuch, die militärische Organisation zu straffen. Es war nicht mehr zu übersehen, daß das Recht der Barone, sich selbständig aus einem Feldzug zurückzuziehen, die Kampfkraft bei größeren Unternehmen lähmte. Die zur Hälfte aus feudalen Vasallen und zur Hälfte aus gedungenen Söldnern bestehende mittelalterliche Armee, die noch keine nationale Streitmacht war, war zu stark von den fürstlichen Privatinteressen abhängig, um ein verläßliches Verteidigungsinstrument zu sein. Die königliche Verordnung vom April 1351 war ein Versuch, die Prinzipien von Befehl und Gehorsam einzuführen, soweit es das Selbstverständnis des Rittertums erlaubte. [Ref 112]
Dem entsprach eine Bestimmung, die darauf zielte, den entscheidenden Unsicherheitsfaktor der mittelalterlichen Schlacht zu beseitigen: das Recht auf eigenständigen Rückzug. Die neue Verordnung forderte, daß jeder im Heer einem Hauptmann unterstellt würde, und verlangte von allen Soldaten einen Eid, »die Kompanie ihres Hauptmanns nicht zu verlassen«, ohne einen ausdrücklichen Befehl zu haben. Einen Hinweis darauf, wie wenig sich ein Kommandeur auf seine Truppen verlassen konnte, gibt eine weitere Regelung, die auch von den Hauptleuten der Kompanien verlangte, ihren Bataillonsbefehlshaber darüber zu informieren, ob sie an einer Schlacht teilnehmen würden oder auch nicht.
Am wichtigsten war dem König die Idee, seine Streitkräfte durch die Gründung eines Ritterordens zu festigen. Wie der kurz zuvor von Eduard ins Leben gerufene Hosenbandorden war auch sein Orden den Rittern von König Artus’ Tafelrunde nachempfunden. Johanns Orden vom Stern sollte mit den englischen
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