Der Fetisch-Mörder
Nächstes?«
Andy spürte die abrupt veränderte Einstellung ihm gegenüber. Er war wieder einer von ihnen. Sie glaubten ihm.
57
Schreie. Entsetzliche Schreie hallten durch den Raum und rissen jäh ab wie überdehnte Gummibänder. Sie klangen fern, weit weg. Makedde war schlecht, und sie wusste nicht, wo sie war, doch trotz ihrer Benommenheit war ihr bewusst, dass ihr eigener Verstand diese schrecklichen Geräusche hervorbrachte. Sie drohte erneut das Bewusstsein zu verlieren und musste all ihre Willenskraft aufbieten, um der Versuchung zu widerstehen, dem Schmerz zu entfliehen und sich der verlockenden, endlosen Leere hinzugeben. Sie lag auf dem Rücken, ihre Handgelenke waren zusammengebunden und an irgendetwas festgemacht. Sie wurde auf- und niedergeworfen, ihr Rücken krachte immer wieder auf einen harten Stahlboden. Mühsam versuchte sie ihre Umgebung in Augenschein zu nehmen, doch es war laut, und sie hatte das Gefühl, dass ihr Gefängnis sich bewegte. Außerdem war es dunkel um sie herum.
Ihr linkes Ohr rieb an ihrem Oberarm. Es fühlte sich klebrig an. Ihre Arme waren weit über ihren Kopf gestreckt, und bei jedem Stoß schmerzten ihre Schultern so sehr, dass sie laut hätte aufschreien können. Sie konnte sie nicht bewegen, um sie zu entspannen. Die Stöße und das ständige Schwanken rollten sie hin und her. Sie blinzelte mit einem Auge und sah, dass sie auf dem Boden eines alten Lieferwagens lag.
Sie erinnerte sich an den rothaarigen Mann.
Er hatte ihr angeboten, ihr Auto in Gang zu bringen.
Sie bog den Kopf nach hinten und versuchte zu erkennen, womit ihre Handgelenke gefesselt waren. Offenbar waren es stabile Handschellen aus Metall, die mit Ketten an der Wand befestigt waren.
Der Wagen wurde herumgerissen.
Ihre Beine schleuderten hin und her, ihre Stilettos rollten über den Boden. Sie bemerkte einen merkwürdigen Geruch, der von der Decke aufstieg, auf der sie lag, der an den Wänden und eigentlich an allem haftete. Wie Desinfektionsmittel. Der Geruch stieg ihr in die Nase, kroch ihr in die Lungen und zwang sie zu niesen. Und dann war da noch etwas … Teebaumöl? Der Geruch kam ihr entfernt bekannt vor.
Das Gesicht ihrer Mutter blitzte vor ihrem inneren Auge auf. Jane, wie sie lächelnd Makeddes winziges Handgelenk mit Teebaumöl einrieb, um den Schmerz der kleinen Schramme zu lindern, die sie sich zugezogen hatte, als sie beim Rollschuhfahren hingefallen war.
Ein anderes Bild blitzte auf … Catherine. Tot. In ein Leichentuch gehüllt. Der Geruch von Teebaumöl, und der nicht ganz übertünchte Gestank darunter … von verwesendem Fleisch.
Makedde konnte Tod in dem Lieferwagen riechen, in dem sie lag.
Durch einen Schlitz zwischen den Vorhängen konnte sie mit halb geöffneten Augen den Hinterkopf des Fahrers erkennen. Sie war ihm während der vergangenen zwei Wochen in ihren Alpträumen mehrfach begegnet. Er tötete junge Frauen wie Makedde, und jetzt war sie an der Reihe.
58
Eine gute Stunde nach dem Anruf bei Makedde stand Andy Flynn vor dem heruntergekommenen dreistöckigen Wohnhaus in Redfern, in dem Ed Brown mit seiner behinderten Mutter lebte, seit er erwachsen war. Zwischen den Backsteinen wucherten vertrocknetes Gras und Unkraut. Einige Fensterscheiben waren zerbrochen und notdürftig mit Isolierband repariert. Der ganze Wohnblock schien sich leicht zur Seite zu neigen, zu der Seite, in der sich Wohnung Nummer achtzehn befand.
Die Fahndung war eingeleitet. Jeder Streifenwagen und sämtliche Krankenhäuser waren in Alarmbereitschaft versetzt worden, jeder Ort, von dem aus Ed Brown die Stadt verlassen konnte, wurde überwacht. Ein Hubschrauber war soeben gestartet. Ed Brown war auf der Flucht. Endlich hatte der Stiletto-Mörder ein Gesicht.
Doch Andy wusste, dass das nicht reichte.
Wäre es auch so weit gekommen, wenn ihm der Fall nicht entzogen worden wäre? Wäre all das auch passiert, wenn er Makedde weiter im Auge behalten hätte? Würde er dann jetzt auch vor dem Haus des Mörders stehen, Stunden zu spät?
In Makeddes Wohnung hatten sie keinen Hinweis auf ihren Verbleib gefunden. Bei der Book Model Agency hatte man ihnen mitgeteilt, dass Makedde ein Shooting für die Elle absolviert habe, danach aber zu keinem weiteren Termin bestellt worden sei. Als offiziell vermisst würde sie erst in dreiundzwanzig Stunden gelten, aber niemand wusste, wo sie war.
»Hier wimmelt’s schon vor Kollegen«, stellte Jimmy fest und riss Andy aus seinen Gedanken. Einige der Detectives,
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