Der Fetisch-Mörder
jemandem von Stanley erzählt.
Stanley war der Fremde mit dem gefährlichen Klappmesser, der Mann, der seinen Penis als Waffe eingesetzt und sie vor achtzehn Monaten vergewaltigt und ihr Grundvertrauen erschüttert hatte. Es war nicht so sehr die Scham gewesen, die sie dazu getrieben hatte, das Ganze unter Verschluss zu halten; sie hatte vor allem nicht mehr an das furchtbare Erlebnis denken wollen. Nur ihr Vater wusste Bescheid – und die Polizei. Und natürlich Catherine, die ihr danach so hilfreich zur Seite gestanden hatte. Als Makedde genötigt worden war, die ganze Geschichte bis ins letzte Detail einem weiteren Kriminalbeamten aus Vancouver zu erzählen – zum dritten Mal –, hatte Catherine ihre Hand gehalten. Ob die Opfer von Straßenräubern auch mit so vielen Fragen gelöchert wurden? Mit so intimen Fragen? Warum war sie sich vorgekommen, als stünde sie vor Gericht? Letztendlich konnte der Täter allein aufgrund ihres Falls nicht für schuldig befunden werden. Sie wusste, dass das Verfahren anders ausgegangen wäre, wenn die Gesetze anders und es zulässig gewesen wäre, verschiedene Anklagen zusammenzufassen und gemeinsam zu verhandeln.
Mak wollte nicht, dass ihre Familie davon erfuhr. Es war besser, Geheimnisse zu haben, als Mitleid über sich ergehen lassen zu müssen. Sie hasste Mitleid.
Inzwischen war Stanley im Gefängnis, wenn auch nicht für das, was er ihr angetan hatte.
Tante Sheila würde bestimmt wieder versuchen, sie mit irgendeinem Zahnarzt oder Buchhalter zu verkuppeln, wenn sie zurückkam. Es war, als hätten es alle darauf angelegt, sie unter die Haube zu bringen. »Warum ziehst du immer wieder alleine los? Und wozu willst du unbedingt Psychologin werden? Du bist doch ein hübsches Mädchen – warum suchst du dir nicht einfach einen netten Mann, der für dich sorgt?« Sie konnten einfach nicht verstehen, warum sie schnell in die andere Richtung gelaufen war, als ihre Schwester den Brautstrauß in die Menge geworfen hatte.
Glücklicherweise klingelte das Telefon und riss sie aus ihrer trübseligen Grübelei. Sie zögerte einen Moment, bevor sie abnahm, und stellte sich darauf ein, dass sich wieder niemand meldete, doch zu ihrer Erleichterung hörte sie die Stimme von Detective Flynn.
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie schon wieder störe, Makedde. Äh …« Es folgte eine kurze Pause, während der ihr bewusst wurde, dass es ihr gefiel, wie er ihren Namen aussprach. »Ich bin ein bisschen in Sorge«, fuhr er fort. »Ich möchte einfach nicht, dass Sie weiter in diese furchtbare Geschichte hineingezogen werden.«
Mak fand es geradezu lächerlich schön, seine Stimme zu hören, und sie spürte, dass die unpersönliche Förmlichkeit, die ihre Kommunikation am Anfang so belastet hatte, sich in Luft aufgelöst hatte. Bei ihrem letzten Zusammentreffen musste irgendetwas die Wende bewirkt haben.
»Hat Tony Sie noch einmal belästigt?«
»In letzter Zeit nicht mehr.«
Es entstand eine weitere Pause. Im Hintergrund hörte sie Telefone klingeln.
»Gut …« Er hielt erneut inne. »Dann gehe ich jetzt wohl nach Hause. Ich wollte mich nur vergewissern, ob mit Ihnen alles in Ordnung ist.«
Sie vermutete, dass das nicht der wirkliche Grund seines Anrufes war. »Mir geht es bestens«, versicherte sie ihm.
»Fein. Dann bis demnächst.«
»Tschüss.«
Makedde legte auf und verschränkte die Arme. Das merkwürdige Gespräch ohne jeden erkennbaren Anlass hatte sie ein wenig verwirrt. Das Telefon klingelte erneut, und sie hoffte, dass es noch einmal Andy war. Er war es.
»Ich habe noch etwas vergessen«, sagte er. »Was macht Ihre Schnittwunde?«
»Ach, nicht der Rede wert. Nichts als eine kleine Fleischwunde, wie man so schön sagt.«
»Und Ihre Wohnung? Alles wieder in Ordnung?«
Makedde lachte. »Bestens, danke. Das Lanconide ist spurlos verschwunden, und das Rußpulver verschwindet nach und nach.«
»Lanconide«, wiederholte er. »Sie sind der erste Mensch, den ich kenne, der ›Lanconide‹ sagt und nicht ›dieses weiße Pulver‹. Selbst die Hälfte meiner Kollegen weiß nicht, wie das Zeug heißt.«
»Das habe ich wohl der Tatsache zu verdanken, dass ich die Tochter meines Vaters bin.«
Er lachte. »Äh … ich wollte Sie fragen …«, begann er unsicher und verstummte.
Sie konnte nicht mehr an sich halten und platzte heraus: »Wollen wir Freitagabend zusammen ausgehen?«
»Gern!«, antwortete er überrascht. »Wobei, eigentlich … Nein. Ja. Nein, alles klar. Ja,
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