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Der Feuerthron

Der Feuerthron

Titel: Der Feuerthron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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jedoch, denn auf Yanga ruhte nun eine Verantwortung, die der Hofmagier nie hatte tragen müssen.
    Ohne die nachrangigen Magier und Hexen überhaupt wahrzunehmen, stieg Yanga zu ihren eigenen Gemächern empor. Vor der Tür zu Torrix’ Räumen blieb sie kurz stehen und starrte auf die Symbole, die darin eingebrannt waren. Am liebsten hätte sie sie mit bloßen Händen herausgerissen. Es war ihr noch immer nicht gelungen, die magischen Schlösser dahinter zu öffnen. Wenn sie sie geistig berührte, erfuhr sie nur, dass der Hofmagier nicht anwesend war. Da sie Torrix’ Aufzeichnungen aber dringend benötigte, würde sie sich schon in den nächsten Tagen intensiver mit diesen widerspenstigen Artefakten beschäftigen müssen. Ohne das Wissen, dashinter dieser Tür ruhte, konnte Ilyndhir dem Reich von Gurrland nicht standhalten.
    Gab es überhaupt noch eine Chance, die Eroberer abzuwehren? Yanga hätte diese Frage beinahe verneint. Doch ein Bündnis aller bedrohten Völker mochte noch Aussicht auf Erfolg haben. Vor einem Jahr hätte sie allein die Möglichkeit eines Zusammenschlusses verlacht, denn seit dem letzten, durch Gewährsleute aus Teren vermittelten Waffenstillstand vor dreißig Jahren hatte es keinen Kontakt mehr zwischen Ilyndhir und Malvone gegeben. Am heutigen Tag aber würde der malvonische König in eigener Person vor den Thron von Ilyndhir treten, um bei Königin Ilna V. für ein gemeinsames Vorgehen gegen Gurrland zu werben. Dabei waren die Malvoner Grüne, also Farbfeinde, die man, wenn man sie nicht bekämpfte, wenigstens meiden sollte. Nicht umsonst galt der Grünmond, der in der kommenden Nacht als erster aufsteigen würde, in Ilyndhir als Symbol des Bösen.
    Yanga schüttelte sich bei dem Gedanken an dieses Gestirn, bei dessen Anblick sie dasselbe Unbehagen empfand wie in der Nähe des Hofmagiers von Malvone, dessen Anwesenheit sie auf einem der ankommenden Schiffe bemerkte. Zwar hatte Ethrul sich gut abgeschirmt, und sie glaubte sogar Silber an ihm zu spüren, doch all das konnte das grüne Feuer, das in ihm loderte, nicht verbergen.
    Als Yanga die rechte Hand hob, um den magischen Schlüssel für ihre eigene Tür abzustrahlen, sah sie, dass die feinen Härchen auf ihrem Unterarm zu Berge standen. Ich habe Angst!, fuhr es ihr durch den Kopf, und ihr wurde schmerzhaft klar, dass sie vor einer Situation stand, die ihre Kräfte und Fähigkeiten überstieg.
    Rasch trat sie ein und schloss die Tür so hinter sich zu, damit ihr niemand ohne Erlaubnis folgen konnte. Ohne die lange, mit blauen Federn geschmückte Robe eines Hofmagiers abzulegen, eilte sie in ihr Schlafzimmer und kramte in den scheinbar wirr herumliegenden Zauberdingen, bis sie auf einen in Silbertuch gehüllten Gegenstand stieß. Sie hob ihn aufs Bett, wickelte ihn aus undhielt zuletzt ein silbernes Kästchen in der Hand. Sie hatte es selbst geschmiedet und dafür gesorgt, dass es dicht war und ihm keine verräterische Magie entweichen konnte. Nicht einmal jemand mit Torrix’ Kräften konnte erkennen, dass sich etwas Besonderes darin befand. Früher hatte sie das Kästchen nur öffnen können, wenn der Hofmagier die Königin auf deren Reisen nach Wardania oder eine andere Insel des Reiches begleitet hatte.
    Jetzt aber gab es niemanden mehr, der ihrem Geheimnis gefährlich werden konnte. Sie hob den Deckel des Kästchens auf und blickte auf ihren Talisman, einen sechseckigen, schwarz glänzenden Kristall von der Art, wie Runier oder sehr hoch begabte Magier aus sagenhaften Zeiten sie kraft ihres Willens wachsen lassen konnten. Sie hatte dieses wundervolle Stück bei einer ihrer Reisen, die zur Ausbildung einer Hexe gehörten, im Süden des Archipels erworben und mit in die Heimat genommen. Aus Angst, Torrix oder die damalige Zweite Hexe würden es ihr abnehmen, um es für eigene Experimente zu verwenden, hatte sie ihre Neuerwerbung vor dem Hofmagier und auch allen anderen Bewohnern des Magierturmes verborgen gehalten. Als sie nun ihre Hand ausstreckte und den Talisman mit den Fingern berührte, fühlte sie die ungeheure Kraft, die der Kristall verströmte. Mit einem Mal schwanden ihre Angst und Sorgen. Sie war Yanga, die mächtigste Hexe des Nordens und die stärkste Hofmagierin, die das Reich der Nördlichen Inseln je gehabt hatte. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis diese dumme Königin das begriff und ihr auch den Titel verlieh.
    Yanga schloss die Augen, um die Bilder besser aufzunehmen, die von dem Kristall in sie hineinflossen.

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