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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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unter ihren Füßen, Reifenspuren waren als deutliche Abdrücke zu erkennen. Hier war der durchdringende, schwere Duft der Pflanzen besonders intensiv.
    Dieser Park und das Haus erstrahlten in unvergleichlichem Glanz. Brackmann und Engler folgten dem Diener ins Haus. Der Fußboden der Eingangshalle bestand aus feinstem Marmor, Pflanzen und Bilder zierten in reicher, aber nicht erdrückender Weise Boden und Wände, ein weit ausladender Kristallüster aus Tausenden glitzernder Einzelteile hing exakt in der Mitte der Halle. Eine breite, mit purpurrotem Teppich belegte Treppe führte in zwei Halbkreisen in den ersten Stock, wo sie in einer Art Aussichtsplattform zusammenlief. Das Geländer bestand aus demgleichen weißen Stein, die Oberfläche war polierter Marmor. Zwischen den Halbkreisen der Treppe stand je ein in hellem Rot gehaltenes zweisitziges Sofa mit feingedrechselten Füßen. Unter der Plattform befand sich eine dunkle, schwere, mächtige Doppeltür, die in den hinteren Teil des Erdgeschosses führte. Hier und da lagen scheinbar wahllos und doch nicht unordentlich Teppiche, deren feine Muster und zarte Farben erlesene Eleganz ausdrückten.
    Brackmann sah den Glanz, doch er nahm ihn nicht bewußt wahr. Ihm war speiübel, er zitterte leicht, sein Herz jagte. Furcht! Vor den Vandenbergs, vor der Konfrontation mit Frau Phillips, davor, die falschen Worte zu wählen, vor Mißverständnissen. Doch welche Mißverständnisse konnten schon noch entstehen, angesichts des Todes eines Siebzehnjährigen?
    Er hatte den Gang zum Schafott angetreten, und nun stand er darunter und fühlte sich miserabler denn je zuvor. Und die Scharfrichterin war auf dem Weg, die Vollstreckung zu vollziehen.
    Sie standen eine Weile schweigend in der Mitte der großen Halle, als Frau Phillips aus der Tür trat, die genau gegenüber der Eingangstür lag, und ihnen mit schnellen, ausgreifenden Schritten entgegeneilte. Sie schien sichtlich verärgert über die Störung, ihre Nasenflügel bebten, ihre Augen sprühten, winzige Falten bildeten sich auf ihrer Stirn, ihr Busen wippte bei jedem Schritt.
    »Nun«, sagte sie kühl, »es scheint ja enorm wichtige Dinge zu geben, wenn Sie sich hierherbemühen, um mich mitten in meiner Arbeit stören.« Dann ein kurzer, nicht minder kühler Blick zu Engler, ein kaum merkliches Nicken. Dann wandte sie wieder ihre ganze Aufmerksamkeit Brackmann zu. »Sollten Sie mir nur mitteilen wollen, daß Nathanael wieder frei ist, so hätte ich dies spätestens zu Hause bemerkt.«
    »Nun, Frau Phillips«, druckste Brackmann herum, der Angst hatte vor einer Frau, die anderthalb Köpfe kleiner war als er, doch ihr seine Seele durchdringender Blick, ihre Ungeduld, die vorhersehbare Eruption des Vulkans, dazu die Erkenntnis, einen entscheidenden Fehler begangen zu haben, all dies machte Frau Phillips für ihn so gefährlich. »Ich, wir . . .« stammelte er.
    »Ich, wir! Was ist?« fuhr sie ihn an. »Ist er noch im Gefängnis? Gut, dann kommt er eben morgen raus!«
    »Frau Phillips, es tut mir leid, aber Ihr Sohn wird . . .«
    »Mein Sohn wird was?«
    »Nathanael ist tot.« Er hatte es ausgesprochen, ausgewürgt, hervorgequetscht. Und Frau Phillips stand da wie vom Schlag gerührt. Nur ihre Wangenknochen bewegten sich leicht. Das Magma im Innern des Vulkans kam in Bewegung.
    »Bitte?« fragte sie sehr leise, den Kopf leicht zur Seite geneigt, die Augen messerscharfe Schlitze in einem weißen, fast makellosen Gesicht. »Nathan ist was? Tot? Was ist passiert?«
    »Er hat sich in der Zelle erhängt. Er . . .«
    »Mein Gott!« flüsterte sie erneut. »Nathan ist tot?« wiederholte sie die Frage und schüttelte ungläubig den Kopf. »Das darf nicht sein, nicht Nathan!«
    »Frau Phillips«, sagte Brackmann, »es tut mir leid, aber ich konnte nicht . . .«
    »Sie konnten was nicht?« schrie sie ihn wie eine Furie an. »Wollen Sie mir jetzt vielleicht weismachen, daß Sie nichts dafür können, daß Sie keine Schuld an seinem Tod trifft? Sparen Sie sich die Mühe, Sie, Sie . . . Sie Provinzbulle!« Sie hielt inne, schloß die Augen für eine Sekunde, atmete schnell und flach, sprach auf einmal sehr leise weiter: »Brackmann, diese Sache wird Sie den Kopf kosten! Bei Gott, ich schwöre Ihnen, das wird Sie den Kopf kosten!«
    »Frau Phillips, ich kann verstehen, daß Sie . . .«
    »So? Verstehen können Sie? Gar nichts können Sie, Sie mieses kleines Stück Dreck! Ist vielleicht Ihr Sohn tot? Haben Sie überhaupt Kinder? Nein, natürlich

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