Der Finger Gottes
dem alten Müllerhof. Er steht nicht mehr.«
»Na und?! Was geht uns das an? Dort lebt schon seit Jahren kein Mensch mehr! Was hatten Sie dort verloren?«
»Nun, ich habe dort unter anderem neun Tote und etliche sehr schwer Verletzte gefunden. Außerdem ist die Scheune zusammengestürzt, und ich vermute, es liegen noch mehr Tote und Verletzte unter den Trümmern.«
»Was? Auf dem alten Müllerhof? Was haben denn all die Leute dort zu suchen gehabt?« fragte Brackmann entgeistert.
»Keine Ahnung. Es sieht auf jeden Fall furchtbar aus. Und was ist hier los?«
»Nathan Phillips hat sich aufgehängt.«
Schmidt schien einen Moment lang seine Fassung zu verlieren. »Verdammte Scheiße! Ausgerechnet er! Das gibt verdammt viel Ärger. Ich brauch jetzt was zur Stärkung.«
Brackmann sah Reuter an. »Haben Sie was für ihn?«
Reuter kramte in seiner Tasche, fand ein Päckchen Beruhigungspillen, reichte Schmidt zwei davon. »Hier, nehmen Sie die. Sie helfen schnell.«
»Nein, nein, keine Pillen. Ich mach das mit ’nem doppelten Korn. Da weiß ich wenigstens, was ich einnehme.«
Brackmann stand auf, zog seine Hose gerade, seine Schultern hingen nach vorn. »So, ich werde mich dann mal auf den Weg machen. Gilt Ihr Angebot noch?«
»Natürlich. Das bin ich Ihnen und auch dem Jungen schuldig.«
»Wieso mir?«
»Weiß ich nicht, einfach so.«
»Ich sollte besser erst anrufen und sehen, ob die Eltern auch zu Hause sind.« Brackmann nahm den Hörer und wählte die Nummer von Phillips. Er hätte heulen können. So einverdammter Kardinalfehler! So ein verdammtes Leben! Das Hausmädchen meldete sich. Sie sagte, Phillips sei vor wenigen Minuten nach Hof gefahren und Frau Phillips habe eine Besprechung bei den Vandenbergs.
»Er ist nicht da, und sie ist bei den Vandenbergs. Mir behagt der Gedanke, sie dort aufzusuchen, ganz und gar nicht. Aber es nützt wohl nichts. Ich muß es hinter mich bringen. Doktor, würden Sie bitte bei Pickard anrufen? Er soll den Jungen abholen. Und sagen Sie ihm oder wer immer ihn holt, daß kein Mensch, ich wiederhole, kein Mensch vorläufig davon erfahren darf. Wenn jemand redet, werde ich ihn persönlich zur Rechenschaft ziehen.«
Schweigend fuhren Brackmann und Engler zu dem Anwesen. Sobald sie vor dem Tor hielten, kamen die Doggen ans Tor geschossen. Sie bellten nicht, hatten nur wieder diesen feindseligen, hungrigen Ausdruck in den Augen.
Die beiden Männer stiegen aus. Nicht mehr lange und die Dämmerung würde hereinbrechen, noch war es trockenheiß. Von Horizont zu Horizont bedeckte keine Wolke den jetzt azurblauen Himmel, der sich im Westen in zahlreichen Orange- und Rottönen präsentierte. Der Boden war fast überall wieder getrocknet, nur an einigen, der Sonne weniger zugänglichen Stellen noch weich.
Brackmann drückte den Klingelknopf. Eine weibliche schnarrende Stimme meldete sich. Brackmann bat, Frau Phillips sprechen zu dürfen. Die Stimme versprach, jemanden zu schicken, der ihn und Engler vom Tor abholte. Dann wurde mit einem Knacken die Verbindung unterbrochen. Sie warteten etwa drei Minuten, bis ein uniformierter Diener von etwa sechzig Jahren den Hunden befahl, sich auf den Rasen zu legen, erst dann öffnete er das Tor. Seine Miene war ausdrucks- und illusionslos, seine Stimme leise, als er Brackmann und Engler bat, ihm zu folgen.
Der etwa vierhundert Meter lange Kiesweg führte in einemHalbkreis zum Haus. Zu beiden Seiten war er mit dicht aneinanderstehenden, riesigen Eichen bewachsen, die erst zum Ende des Weges den Blick auf das Haus freigaben. Es war ein gepflegtes Anwesen mit prachtvollen Blumenbeeten und sauber geschnittenen Sträuchern und Büschen, und über allem lag der schwere Duft blühender Pflanzen. Doch auch hier hatte der Sturm gewütet und viele der liebevoll angelegten Blumenbeete zerstört, waren Äste abgeknickt und Büsche ausgerissen.
Und dann stand es vor ihnen, angeleuchtet von in den Boden eingelassenen Scheinwerfern, ein mehr als hundertfünfzig Jahre altes Monument. Brackmann schätzte das Haus auf etwa dreißig Meter Länge an der Vorderfront und ungefähr zwanzig Meter an den Seiten. Es hatte zwei Stockwerke, eine Veranda zog sich über die gesamte Eingangsseite, mit einer breiten, fünfstufigen marmornen Treppe und drei Säulen, die sich nach oben streckten und einen Balkon abstützten, der sich wie die Veranda entlang der ganzen Vorderfront zog; und am rechten und linken Rand befand noch jeweils eine Säule.
Der feine Kies knirschte
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