Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
Vom Netzwerk:
etwas gespürt?«
    Esther schüttelte den Kopf.
    »Was ist mit Ihrem Rücken? Haben Sie Schmerzen?«
    »Ja, starke, ziehende Schmerzen.«
    »Das könnte ein gutes Zeichen sein. Blase und Darm sind normal, wie ich sehe.« Er sah Georg an. »Vielleicht kann ihr geholfen werden. Aber nicht hier, sondern in München.«
    Schnell wandte er sich dann der nächsten Patientin zu.
    »Siehst du, Esther, man soll die Hoffnung nie aufgeben.«
    »Man soll aber auch nicht zuviel hoffen. Wer zu hoch fliegt, kann sehr tief abstürzen. Ich glaube, Georg, das ist die Strafe.«
    »Was meinst du damit?«
    »Es ist die Strafe für vieles, was ich gemacht habe und nicht hätte tun sollen.«
    »Und was zum Beispiel?«
    »Irgendwann werde ich es dir vielleicht sagen. Irgendwann.«
    »Nein, kein Mensch wird so bestraft. Ich glaube es nicht.« Er beugte sich zu ihr hinunter, umarmte sie, küßte sie kurz auf den Mund. Sie hatte Tränen in den Augen. Und er auf einmal auch.
    »Ich gehe jetzt, aber ich komme bald wieder. In München gibt es gute Ärzte. Mach’s gut.«
    »Ich liebe dich«, flüsterte sie.
    »Ich dich auch.«
    Pickard fuhr zurück nach Waldstein. Was hatte Esther gemeint, als sie von Strafe sprach? Etwa doch Scherer, diesen verdammten Dreckskerl?

Kapitel 39
    Als Brackmann mit seiner Schreibarbeit fertig war, lehnte er sich zurück, zündete eine Zigarette an und machte sich einen Plan für den Tag. Jonas Vandenberg stand als erster auf seiner Liste, außerdem interessierte ihn Scherer und dessen Beteiligung beim Hundekampf auf dem Müllerhof.
    Der Zettel mit der Telefonnummer der Vandenbergs lag auf dem Schreibtisch, er starrte darauf, nahm etwas unsicher den Hörer in die Hand. Angst. Trotz der Tabletten. Er wurde verbunden. Das Gespräch dauerte dreißig Sekunden. Jonas Vandenberg bat ihn, auf das Anwesen zu kommen. Um elf Uhr. Eine Bitte wie ein Befehl. Brackmann blieben noch zwei Stunden.
    Die Zeit davor wollte er nutzen, um sich Scherer vorzuknöpfen. Scherers Werkstatt und Wohnung lagen am Stadtausgang von Waldstein, an der nach Hof führenden Straße. Ein kräftiger warmer Wind kam auf, das große Windrad hinter der Tankstelle drehte sich schnell und quietschend. Er parkte den Wagen neben der Straße, zog seine Hose gerade, ging zum Haus.
    Scherers Frau öffnete die Tür. Hinter ihr stand ein kleines, etwa vier Jahre altes Mädchen, das ihn neugierig und ängstlich zugleich aus großen braunen Augen beobachtete. Sie hatte langes, dunkelbraunes lockiges Haar, ihre schmutzigen Füße waren nackt, ihr Gesicht war wie das Gesicht eines dieser vielen bitterarmen Straßenkinder in Mexiko oder Brasilien oder Indien, von denen er schon Fotos in Magazinen oder im Fernsehen gesehen hatte. Das Mädchen hatte strähniges Haar, überhaupt wirkte die Kleine, als wäre sie seit Tagen oder Wochen nicht gewaschen worden. Im linken Arm hielt sie eine große Puppe, mit der rechten Hand hielt sie sich am fleckigen Rock ihrer Mutter fest, deren Haar ebenso strähnig und ungekämmt in die Stirn hing; die Augen schauten ihn völlig ausdruckslos an, die Arme hingen kraftlos an den Seiten herunter.
    »Ja?« fragte Frau Scherer; diese kleine, zierliche, noch nicht einmal dreißig Jahre alte Frau, um deren Mund und Nase sich doch schon tiefe Falten gegraben hatten. Ihre Stimme klang leise und gleichgültig.
    »Frau Scherer, ich müßte mit Ihrem Mann sprechen. Ist er zu Hause?«
    »Nein, ich habe keine Ahnung, wo er ist.«
    »Ich muß ihn aber dringend sprechen.«
    »Dann suchen Sie ihn! Ich kann Ihnen nicht helfen.«
    »Könnte ich vielleicht kurz mit Ihnen sprechen?«
    Sie sah ihn verständnislos an.
    »Was wollen Sie von mir?«
    »Es geht um Ihren Mann. Bitte, Frau Scherer, ich werde Sie auch nicht lange aufhalten.«
    Sie gab die Tür frei, ließ ihn wortlos an sich vorbei eintreten. Das Zimmer, in das er geführt wurde, machte den gleichen schmuddeligen Eindruck wie das Mädchen und die Frau. Der Teppichboden war ausgetreten und mit Krümeln und zahllosen Flecken übersät, er hatte längst die Farbeverloren, die Tapeten waren verschmiert und an vielen Stellen eingerissen, tiefe Schrammen an den spärlichen Möbeln. Nirgends ein Buch, es gab nicht einmal eine Zeitung. In die fünfstrahlige Lampe an der Decke war nur eine einzige Birne eingedreht. Frau Scherer deutete auf einen Sessel, dessen Stoffbezug viele Risse, Löcher und Flecken aufwies. Brackmann winkte ab.
    »Ich will Ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen. Deshalb gleich meine Frage

Weitere Kostenlose Bücher