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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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außerhalb des Mutterleibes, mehrfache Reanimationen, weil er einfach aufgehört hatte zu atmen, und als Folge davon gravierende, nicht zu behebende Gehirnschäden, eindeutig festgestellt bei mehreren CT’s und Kernspintomogrammen. Wenn er sprach, waren es keine Wörter, sondern nur schwer zu definierende Laute, mehr ein Grunzen als ein Sprechen; wenn er sich bewegte, mußte man ständig fürchten, er würde beim nächsten Schritt vornüberkippen und sich das Gesicht aufschlagen. Er besuchte eine Schule für geistig Behinderte in Hof, wurde jeden Morgen um Viertel vor acht mit dem Bus abgeholt und nachmittags um halb vier wieder gebracht. Meist war er ruhig und schien zufrieden mit seinem Leben, nur selten war er aggressiv, dann mußte man ihn in seinem Zimmer einsperren, und wenn es ganz schlimm war, bekam er ein schweres Beruhigungsmittel. Glücklicherweise gehörten diese Tage zu den Ausnahmen, in der Regel war er friedlich, lachte viel, aber man wußte nur selten, warum und worüber er lachte. Er war ein vollständig integriertes Mitglied der Familie, nie war auch nur der Gedanke aufgekommen, ihn in ein Heim zu stecken, nicht etwa weil ein Heim viel Geld kostete, sondern weil Obert und seine Frau sich zu ihrer Aufgabe bekannten und sich mit dem ihnen zugeteilten Schicksal demütig und ergeben abfanden.
    Gegenüber von Ernst und Jonathan saß Caroline, die lustlos in ihren Kartoffeln herumstocherte, den Kopf wie eine schwere Last auf die linke Hand gestützt.
    »Du ißt schon wieder nichts, Kind! Dabei habe ich heute extra dein Lieblingsgericht gekocht.« Frau Obert schaute ihre Tochter verständnislos an.
    »Keinen Appetit. Außerdem ist es viel zu heiß.«
    »Keinen Appetit! Das höre ich jetzt schon seit einer Woche! Wie lange soll das noch so weitergehen? Ich glaube, ich sollte dich mal zu Dr. Reuter schicken.«
    »Vielleicht hat Caroline Liebeskummer? Hat Andy ’ne andere?« Ernst grinste Caroline herausfordernd an, Jonathan lachte, als verstünde er die Frotzelei.
    »Halt die Klappe, Blödmann! Außerdem muß ich gleich noch weg.«
    »Aber erst ißt du ein paar Happen, dann kannst du von mir aus gehen.« Obert hatte seinen Teller fast leergegessen.
    »Du meine Güte, warum soll ich essen, wenn ich nicht will?! Ich bin kein kleines Kind mehr! Ich weiß selbst, was mir guttut und was nicht!« Caroline ließ wütend die Gabel fallen. »Ich habe nun mal keinen Appetit! Kennt ihr das denn nicht? Es gibt halt Zeiten, da mag man nicht viel essen! Wahrscheinlich liegt das nur an dieser Scheißhitze, man kann nicht mal mehr einen klaren Gedanken fassen! . . . Kann ich jetzt bitte gehen, Andy wartet schon auf mich.«
    Obert nickte, er wußte, es hätte jetzt wenig Sinn gehabt, vernünftig mit ihr reden zu wollen. Ihm war heute nicht nach langen, sinnlosen Diskussionen, diesem nutzlosen Unterfangen, den dickwandigen Schädel durchbrechen zu wollen. Sein Tag war anstrengend gewesen, außerdem war es viel zu heiß, um mit Caroline zu streiten.
     
    Andy, der vor zwei Wochen achtzehn geworden war und am Tag seines Geburtstags die Führerscheinprüfung gemacht hatte, wartete in seinem alten, angerosteteten Käfer, den schon sein Vater gefahren hatte, vor dem Haus.
    »Hi, Andy!« sagte sie und hauchte ihm einen flüchtigen Kuß auf die Wange, doch fehlte der Überschwang der letzten Zeit.
    »Hi«, antwortete er mürrisch, ohne Caroline anzusehen.
    »Schlechte Laune?« fragte Caroline, die Hände über dem Schoß gefaltet.
    Er hielt das Lenkrad mit beiden Händen umklammert. »Quatsch! Außerdem hörst du dich auch nicht gerade begeistert an. Meinst du denn, es ist richtig, was wir jetzt machen? Glaubst du, Engler kann uns helfen?«
    »Weiß ich nicht, aber hast du vielleicht eine bessere Lösung?«
    »Nein. Aber ich wünschte, ich hätte soviel Geld, daß wir abhauen könnten! Weit, weit, weit weg, irgendwohin, wo uns keiner kennt und keiner uns reinreden kann. Es ist alles so ausweglos!«
    »Engler ist der einzige, zu dem ich in dieser Situation wirklich Vertrauen habe. Er weiß bestimmt Rat. Und er muß den Mund halten.«
    »Sicher muß er den Mund halten. Aber wie lange dauert es wohl noch, bis es sowieso jeder weiß?! Lange können wir es nicht mehr geheimhalten.«
    »Das weiß ich selbst! Aber wir sollen erst um halb neun bei Engler sein. Komm, laß uns ein Eis essen.«
    »Wie du jetzt nur an Eis denken kannst!! Ich habe unglaublichen Schiß!«
    »Meinst du vielleicht, ich nicht?! Dann warten wir eben vor der Kirche,

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