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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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erinnern, daß es bereits nach zehn Uhr ist, und . . .«
    »Ich weiß sehr gut, wie spät es ist«, unterbrach sie ihn schroff mit spitzer Stimme. »Sonst noch was?«
    »Nun, Frau Fleischer, nichts für ungut, ich wollte es Ihnen nur sagen, weil es eben schon so spät ist.«
    »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, falls es das ist.«
    »Dann ist es gut, das war alles. Gute Nacht.« Er tippte sich an die Mütze, blieb noch kurz stehen, bis sie die Tür wieder verschlossen hatte, atmete tief ein und noch tiefer wieder aus, während er zusah, wie sie hinter ihren Tisch zurücktippelte.
Aber nein,
dachte er kopfschüttelnd,
eine wie dich wird keiner überfallen, du alte Kuh! Dich nicht!
    Im Streifenwagen holte er aus dem Handschuhfach eine Dose Cola, zog den Metallclip hoch, eine braune Fontäne schoß an die Windschutzscheibe und gegen das Armaturenbrett. Er stieß eine wilde Verwünschung aus, weil ein Teil der Flüssigkeit auf seine Hose und sein Hemd tropfte. Er wischte mit der Hand darüber, es klebte. Er setzte die Dose an die Lippen, leerte den warmen Inhalt in einem Zug, ein Moment verging, dann rülpste er laut und langgezogen, grinste. Er legte die Dose auf den Beifahrersitz, der letzte Rest lief auf den Sitz, er drehte den Zündschlüssel und setzte seine Fahrt durch den Ort fort, erreichte die Ortsgrenze, und schon bald kam das Anwesen der Vandenbergs in Sicht. Ein bulliger dunkler Mercedes 500, der den Vandenbergs gehörte, kam ihm mit aufgeblendeten Scheinwerfern entgegen. Das Tor, das der Wagen passiert hatte, schloß sich wie von Geisterhand.
    Schmidt wendete, steuerte das Auto zurück zum Büro. Am nördlichen Horizont nahm er Flackern wahr, wie Lichtjahre entfernte Blitze, die nicht aus dem Himmel, sondern aus der Erde zu kommen schienen. Es war weit draußen, dort, wo kaum Menschen lebten, nichtssagend, ungefährlich. Vielleicht Regen, hoffentlich endlich Regen!
    Um halb elf kehrte Schmidt ins Büro zurück. Der gewohnt modrige Geruch von altem Holz schlug ihm entgegen, die Dielen ächzten bei jedem Schritt, doch im Gegensatz zu Brackmann störte Schmidt sich nicht daran. Die matte Birne spendete gerade genug Licht, um Comics lesen zu können. Die Wände hätten einen Anstrich bitter nötig gehabt. Brackmann hatte nicht nur einmal um eine Renovierung gebeten, aber Waldstein lag zu weitab von Nürnberg, als daß sich auch nur einer der dortigen Bürosäcke darum gekümmert hätte, und die Vandenbergs gaben sich mit derlei Kleinigkeiten nicht ab.
    Die Zellen im hinteren Teil des Baus standen leer, hier gabes nur Spinnen und Staub, nur selten schlief ein Betrunkener seinen Rausch aus. Nicht einmal Scherer war je hiergewesen.
    Bevor Schmidt sich setzte, wusch er sich die Hände, holte aus dem Kühlschrank eine Dose Bier, die ihm über die lange Nacht hinweghelfen sollte. Der Stuhl knarrte verdächtig, als er sich setzte. Er legte die Beine auf den Schreibtisch, schlug das Comic-Heft auf, Superman. Eine der üblichen Nächte in Waldstein hatte begonnen.

Kapitel 12
    Er saß auf einem Ast. Er saß seit Wochen fast jeden Abend auf diesem seinem Ast, ohne daß er jemals dabei beobachtet worden wäre. Sein Blick war auf ein bestimmtes Fenster gerichtet, sein Körper bis in jede Faser gespannt. Er hatte sie schon oft gesehen, im April aber war sie ihm zum ersten Mal richtig aufgefallen, an einem späten Nachmittag, während er unter dem Baum hockte, um für die Schule zu lernen. Sie war in etwa zehn Meter Entfernung an ihm vorbeigekommen, in einem leichten Sommerkleid, das zwar unten weit, oben jedoch so geschnitten war, daß sich jede ihrer Rundungen deutlich unter dem dünnen Stoff abzeichnete. Sie hatte ein hübsches Gesicht, schlanke Beine und einen Körper, wie ihn nur wenige, wenn überhaupt eine Frau in Waldstein besaßen, außer der Görtz vielleicht, bloß die war eine kleine hochnäsige Schlampe, eine elende Hure, auch wenn er gerne einmal ihre Titten berührt, sie gevögelt hätte.
    Er hatte noch nie ein Mädchen angefaßt, geschweige denn geküßt, aber wenn er überhaupt einen Wunsch hatte, dann den, einmal ein Mädchen berühren zu dürfen. Vorgestern war er siebzehn geworden. Er besuchte das Gymnasium in Hof, seine Mitschüler prahlten ständig mit ihren Eroberungen,erzählten, wen sie wann und wie oft gevögelt hatten . . . nur er, er hatte nichts, womit er prahlen konnte – außer mit seinen überragenden Noten, was jedoch keinen interessierte, im Gegenteil, man ging ihm aus dem Weg,

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