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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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senkten und der langersehnte Schlaf ihn einhüllte.
     
    Schmidt begann seine Zehn-Uhr-Runde pünktlich. Er schloß das Büro hinter sich ab und setzte sich in den Streifenwagen. Es handelte sich, wie bei dem andern auch, um ein altes Modell, das längst durch ein neues hätte ersetzt werden müssen. Rost nagte unerbittlich an der Karosserie, die Sitze waren zerschlissen und durchgesessen. Doch wann immer sie in der letzten Zeit in Nürnberg wegen eines neuen Wagens angefragt hatten, die Antwort war immer die gleiche, sie müßten sich noch gedulden.
Wenn die sich noch lange Zeit lassen, werde ich bald mit dem Fahrrad Streife fahren,
dachte er mit dem Anflug eines Grinsens. Zu mehr war er nicht fähig, Schmidt lachte nicht, er war introvertiert, mürrisch, häufig schlecht gelaunt. Vielleicht, weil er übergangen worden war, als vor sechs Jahren die Stelle des »Polizeichefs« in Waldstein frei wurde und er sich große Hoffnungen auf diesen Posten machte, statt dessen hatte man ihm einen Fremden vorgesetzt, einen dieser Saupreußen, den er von Anfang an nicht ausstehen konnte. Anfangs hatte er gegrollt, sich inzwischen jedoch längst mit seiner Situation abgefunden, und letztendlich war es ihm auch irgendwie egal. So hatte er wenigstens seine Ruhe, und das war die Hauptsache, denn im Grunde seines Herzens war er faul, und dessen war er sich bewußt. Nur seineFrau wollte sich mit dieser Situation und Schmidts Faulheit nicht abfinden, sie machte ihm ständig Vorhaltungen, entzog sich seinen Annäherungen, strafte ihn mit Nichtachtung, aber auch das kümmerte ihn wenig. Sein Vater hatte es zu nicht mehr gebracht als einer schlechtgeführten Hühnerfarm, sein Bruder fuhr Gemüse aus, warum also sollte gerade er aus der Art schlagen?!
    Er gelangte in die Wohngegend mit den schmucken kleinen Häuschen, wo die Merkels, die Oberts, die Pickards, die Schneiders wohnten. Er hätte auch gern eines dieser Häuser besessen, mit einem kleinen Garten, in dem seine beiden Jungs spielen konnten, mit Fliederbüschen und einem Rasensprenger, der jeden Abend im Sommer den von der Sonne ausgebrannten Rasen wässerte. An Brackmanns Stelle hätte er sich das eines Tages leisten können, doch so lebte er in einer wenig ansehnlichen Bruchbude mit einem verwilderten steinigen Vorgarten; hinter dem Haus, wo eigentlich der Garten sein sollte, türmte sich der Müll meterhoch, und bei Ostwind drang sein Gestank selbst durch die geschlossenen Fenster. Ratten hausten im Müll, und in den vergangenen drei Wochen hatte er zwei Kreuzottern gesehen, die von den Ratten angelockt wurden.
    Sie schmissen den Müll nur noch aus dem Fenster, denn es war zu gefährlich geworden, diesen Teil des Grundstücks zu betreten, es sei denn mit kniehohen festen Gummistiefeln. Schon einige Male waren Ratten ins Haus gekommen, einmal sogar ins Kinderzimmer, und es war schon mehr als Glück, daß keines der Kinder gebissen worden war.
    Er hatte schon oft den Vorsatz gefaßt, den Müllberg zu beseitigen, doch es würde Tage und eine Menge Schweiß erfordern, diese Arbeit wirklich hinter sich zu bringen. Er schob es vor sich her, ertrug das Genörgel seiner Frau, die Ratten und jetzt auch die Schlangen, war froh um jede Minute, die er nicht zu Hause verbringen mußte.
    In fast allen Häusern, an denen er vorbeifuhr, brannte noch Licht, nur das Haus der Schneiders lag im Dunkeln. Pickard stand auf der Terrasse, die Hände in den Hosentaschen vergraben, weißer Rauch stieg aus seiner Pfeife auf. Andys roter Wagen stand bei den Oberts vor der Tür. Ein Betrunkener torkelte über die Straße.
    Er bog in die Hauptstraße ein, kam an Brackmanns Wohnung vorbei, der rauchend am Fenster stand. Schmidt tat, als sehe er ihn nicht. Reuters Praxis war hell erleuchtet, ebenso die Bücherei. Schmidt hielt an und stieg aus. Die Tür zur Bücherei war verschlossen, Frau Fleischer saß in ihre Arbeit vertieft hinter dem Schreibtisch. Er klopfte gegen die Scheibe, worauf Frau Fleischer erst erschrocken, dann, als sie Schmidt erkannte, ärgerlich aufblickte. Sie stand auf, strich ihr einfarbig dunkelgraues Kleid glatt und öffnete die Tür. Mit ihren schmalen, zerbrechlich wirkenden, ringlosen Fingern umfaßte sie den Türrahmen.
    »Ja, bitte?« fragte sie mit blecherner, unpersönlicher Stimme. Ihre stechenden Augen drangen durch Schmidt hindurch und zerlegten ihn in lauter kleine Puzzleteile. Schmidt fühlte sich unbehaglich.
    »Tut mir leid, Frau Fleischer, aber ich wollte Sie nur daran

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