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Der Finger Gottes

Der Finger Gottes

Titel: Der Finger Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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hier, bis auf Caroline, die erst vor fünf Minuten gekommen und gleich auf ihr Zimmer gegangen war, und keiner schien so recht zu wissen, was er sagen sollte, es konnte ja das Falsche sein. Bis Obert die Stille nicht länger ertrug.
    »Nun, ich schlage vor, wir reden über alles. Wirklich alles. Ich sage gleich, daß ich nicht böse bin wegen Carolines Schwangerschaft, höchstens daß ihr zuerst zum Pfarrer gelaufen seid, anstatt mit uns zu sprechen.« Er sah in die Runde, die verschlossenen Gesichter, die kaum vorhandene Bereitschaft, noch heute Stellung zu beziehen. Er zuckte resignierend mit den Schultern. »Na ja, ich denke, wir verschieben es auf morgen.«
    Andy, der den Blicken Oberts immer wieder auswich, sagte: »Danke.«
    »Wofür? Mein Gott, du bist wie ein Sohn für mich. Egal, was passiert, daran wird sich nichts ändern. Und mit deinen Eltern werden wir auch noch klarkommen. Es war der erste Schock. Nicht jeder reagiert auf eine solche Nachricht mit Freudengeschrei. Laß nicht alle Hoffnung sinken.«
    »Vielleicht. Vielleicht werden sie sich wieder beruhigen. Hoffentlich. Ich mache mir nur um Mutter Sorgen. Ihr Asthma. Ich könnte mir vorstellen, daß sie wieder einen ihrer Anfälle hat. Sie hat diese Anfälle immer, wenn sie sich zu sehr aufregt.«
    »Ich werde morgen mit ihnen reden.« Obert stand auf. »Ich finde, es ist Zeit, ins Bett zu gehen. Morgen sieht alles ganz anders aus. Kommt, laßt uns schlafen.«
    Obert, seine Frau und Andy erhoben sich, verließen das Zimmer, Obert löschte die Wohnzimmerbeleuchtung, gerade als Brackmann mit dem Wagen um die Ecke bog. Bisher hatten nur wenige die Warnung befolgt, die nötigsten Sachenzusammengepackt, Geld, Kreditkarten, Schecks, eine Decke, hatten Unterschlupf in einem Keller gesucht oder den anderen Anweisungen Folge geleistet. Obert war mit seinen Gedanken ganz woanders.

Kapitel 15
    Der erste, der die Katastrophe zu sehen bekam, war Dr. Anders von der Wetterwarte, die zweite Person Csilla Vandenberg. Seit zehn Uhr abends saß sie hinter ihrem vergitterten Fenster im ersten Stock dieses riesigen Hauses, von dem aus man eine großartige Sicht über den Ort und weit darüber hinaus hatte, ohne selbst gesehen zu werden. Der größte Teil der Stadt, die Ebene mit den langgezogenen Feldern, die Berge, der Himmel, alles lag vor, unter oder über einem. Die Ebene und die Berge waren nur während des Tages zu sehen, dafür war die Nacht schöner. Nächtelang konnte sie da sitzen, oft bis sie einschlief. Es war, zusammen mit einer Flasche Whisky, das einzige Mittel, das ihr wirklich beim Einschlafen half. In dieser Nacht genoß sie das Spiel des Himmels, das immer näherrückende Wetterleuchten, die bisweilen dünnen Blitze, die pfeilartig senkrecht zu Boden schossen und darin zu versinken schienen.
     
    Reuter wartete in seinem Mercedes, auf dem Beifahrersitz eine Tasche vollgestopft mit Pillen, Tropfen, Pflastern, Mullbinden und einer Schere sowie etwas Operationsbesteck für kleinere Wunden, Dinge, die eventuell ein Leben retten konnten. Er war jedoch schon zu lange Arzt und zu erfahren, um nicht zu wissen, daß auch seinen Möglichkeiten bei einer eventuellen Katastrophe Grenzen gesetzt waren. Er gab sich keinen Illusionen mehr hin, schon gar nicht nach dem Tod von Maria Olsen. Außerdem warReuter einundsechzig, der größte Teil seines Lebens lag hinter ihm, und es hatte, zählte man den heutigen Tag dazu, nicht viel Erfreuliches für ihn parat gehabt. Die erste Frau mit einem andern durchgebrannt, die zweite hatte ihn nicht haben wollen, er war Arzt in einem ekelhaften Kaff, das er haßte, seit er hier lebte, und doch war er nicht mehr weggekommen, er war nicht reich geworden, seine Tage und Abende sahen ewig gleich aus, die Vergangenheit war tot, die Gegenwart trist, die Zukunft ein leerer, schwarzer, langer Tunnel, durch den er, wie es schien, allein würde gehen müssen.
    Er fuhr zu einer Sackgasse, die nur so lang war, daß gerade vier nicht zu große Autos hintereinander parken konnten, sie war recht schmal und wurde von drei Seiten von alten und, wie er hoffte, stabilen Wohnhäusern eingerahmt.
    Hier wollte er den Sturm abwarten. Vielleicht würde es eine lange Nacht werden, vielleicht war aber auch schon in ein paar Minuten alles vorbei. Das Wetterleuchten rückte unaufhörlich näher. Reuter kannte Tornados nur vom Hörensagen, aber sollte das für dieses Land und diese Gegend eigentlich Unmögliche eintreten, würde diese Naturgewalt

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